BGH entscheidet zu den Voraussetzungen des sog. Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.11.2016 — Aktenzeichen: III ZR 139/14
In vielen Haftungsfällen berufen sich Geschädigte auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Anforderungen dafür sind streng, wie auch die aktuelle Entscheidung des BGH zeigt.
Leitsatz
1. Ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages ist nur dann anzunehmen, wenn entweder zwischen ihm und dem Dritten eine rechtliche Beziehung mit persönlicher Fürsorge- und Obhutspflicht oder sozialer Abhängigkeit besteht oder ihm — ohne eine derartig enge Bindung — Schutzpflichten gegenüber dem Dritten aufgrund einer Sonderverbindung in Gestalt eines sonstigen Vertrages oder zumindest eines Gefälligkeitsverhältnisses oder eines besonderen sozialen Kontaktes obliegen.
2. Hatte ein Elektriker bei einer Bekannten eine Außenlampe installiert und verletzt sich später der Kläger (Angestellter eines mit der Fassadenreparatur beauftragten Unternehmers) beim Austausch der Außenlampe schwer, weil das Gehäuse der Lampe Strom führte, so haftet der Elektriker nicht auf Schadenersatz, wenn es an dem Interesse der Hausbesitzerin an dem Schutz des Klägers fehlt. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei der Elektroinstallation um eine Gefälligkeit oder um einen Vertrag handelte. Jedenfalls hat ein (unterstellter) Vertrag zwischen der Hausbesitzern und dem beklagten Elektriker keine Schutzwirkung für den Kläger.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch, weil er bei Fassadenarbeiten einen Stromschlag an der Außenlampe einer Doppelhaushalte erlitt und hierdurch schwere gesundheitliche Schäden davon trug. Der Beklagte wechselte im März 2009 gefälligkeitshalber in Nachbarschaftshilfe die an der Fassade angebrachte Außenlampe aus. Dabei erneuerte er auch die Verkabelung der Lampe bis zurück zur nächsten Umverteilung. Der Eigentümer der Doppelhaushälfte beauftragte in der Folgezeit den Arbeitgeber des Klägers mit Putzarbeiten an der Fassade des Gebäudeteils. Als der Kläger bei deren Ausführung mit der Außenlampe in Berührung kam, erlitt er einen Stromschlag, der zu einem Hirnschaden führte. Er ist seither Schwerstbehinderte und umfassend pflegebedürftig. Grund für den Stromschlag war ein im Inneren des Gebäudes in die Wand geschlagener Metallnagel, der das Schutzleiterkabel — noch vor der Umverteilung, hinter der die neue Verkabelung verlegt wurde — durchtrennt und eine Verbindung zwischen dem vom Beklagten an das Lampengehäuse geklemmten Teil des Schutzleiterkabels und dem stromführenden Phasenleiterkabel hergestellt hatte. Hierdurch war das Lampengehäuse unter Strom gesetzt und der Fehlerstromschutzschalter funktionslos gemacht worden.
Das Landgericht hat die gegen den Beklagten und gegen den Eigentümer der Doppelhaushälfte als vormaligen Erstbeklagten gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat mit Grund- und Teilurteil die den Erstbeklagten betreffende Berufung des Klägers zurückgewiesen, jedoch die Klage gegen den Beklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass er verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren infolge des Unfalls entstandenen und künftig noch entstehenden immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils erstrebt.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof gibt dem Beklagten Recht.
Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob der Kläger in den Schutzbereich eines Gefälligkeitsvertrages zwischen dem Auftraggeber und dem Beklagten einbezogen worden ist. Dies verneinte der Bundesgerichtshof.
Der BGH führt aus:
Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte steht die geschuldete (Haupt-)Leistung zwar allein dem Gläubiger zu, der Dritte ist jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Die Herausbildung des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs beruht auf ergänzender Vertragsauslegung und knüpft damit an den hypothetischen Willen der Parteien an, der unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu erforschen ist. Sie ist dem Umstand geschuldet, dass die Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten zu einem gesteigerten sozialen Kontakt der Vertragsparteien und dementsprechend zu einer größeren Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des Vertragspartners und gegebenenfalls mit diesem verbundener Dritter führt und das Deliktsrecht — insbesondere wegen der Exkulpationsregelung bei der Gehilfenhaftung nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB und des Fehlens eines umfassenden Vermögensschutzes — den geschädigten Dritten nicht immer zureichend absichert. Im Hinblick darauf kann es geboten sein, dem Dritten auch eine vertragliche Anspruchsgrundlage zuzubilligen, die ihm die Kompensation des in Ausführung des Vertragsverhältnisses bei ihm eingetretenen Schadens ermöglicht. Damit ist zwangsläufig eine Ausweitung des Haftungsrisikos des Schuldners verbunden, der außer für Schäden seines Vertragspartners auch für Schäden des in den Schutzbereich des Vertrages einbezogenen Dritten haftet. Um diese Haftung für den Schuldner nicht umkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen.
Der hypothetische Wille der Vertragsparteien, einen Dritten in den Schutzbereich der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung einzubeziehen, ist aufgrund einer sorgfältigen Abwägung ihrer schutzwürdigen Interessen und derer des Dritten zu ermitteln. Die dabei im Einzelnen zu beachtenden Abwägungskriterien ergeben sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Deren Ausgangspunkt sind Fallgestaltungen, in denen das „Wohl und Wehe“ eines Dritten einem der beiden Vertragspartner anvertraut ist — wie beispielsweise dem Mieter das seines Familienangehörigen oder Hausangestellten — und dieser Dritte durch ein Verschulden des Vermieters oder eines von ihm mit einer Reparatur am Haus beauftragten Handwerkers Schaden erleidet. Diese zunächst überwiegend Personenschäden betreffende Rechtsprechung bezieht Dritte in den Schutzbereich eines Vertrages dann ein, wenn sich die vertraglichen Schutzpflichten des Schuldners nach Inhalt und Zweck des Vertrages nicht nur auf seinen Vertragspartner beschränken, sondern — für den Schuldner erkennbar — auch solche Dritte einschließen, denen der Gläubiger aufgrund einer Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag, wie etwa ein familienrechtliches oder ein miet-, dienst- oder arbeitsvertragliches Verhältnis, seinerseits Schutz und Fürsorge schuldet. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung der Schutzbereich vertraglicher Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner auch auf einen an seinem Vermögen geschädigten Dritten ausgedehnt worden, wenn der Gläubiger an dessen Schutz ein besonderes Interesse hat, Inhalt und Zweck des Vertrages erkennen lassen, dass diesem Schutzinteresse Rechnung getragen werden soll, und die Parteien zugunsten des Dritten eine Schutzpflicht begründen wollen. Allerdings beschränkt sich in diesen Fällen der Kreis der Einbezogenen auf solche Dritte, in deren Interesse die Leistung des Schuldners nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Parteien zumindest auch erbracht werden soll — wie etwa in Fällen sogenannten Expertenhaftung für fehlerhafte Gutachten, die zur Vorlage an den Dritten bestimmt sind. Tragender Gesichtspunkt für diese Beschränkung des Kreises der einbezogenen Dritten ist das Anliegen, das Haftungsrisiko für den Schuldner berechenbar zu halten. Er soll für Schäden Dritter nicht einstehen müssen, wenn ihm nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung des Vertragszwecks nicht zugemutet werden kann, sich ohne zusätzliche Vergütung auf das Risiko einer erweiterten Haftung einzulassen. Deshalb kann ohne besondere Umstände auch die Einbeziehung eines Unternehmers und seiner Mitarbeiter in den Schutzbereich eines Werkvertrags des Bestellers mit einem anderen Unternehmer nicht angenommen werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen unterliegt die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages folgenden Voraussetzungen: Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger (Leistungsnähe). Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages haben (Einbeziehungsinteresse). Für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages erkennbar und zumutbar sein (Erkennbarkeit und Zumutbarkeit). Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen, weil der der Dritte anderenfalls nicht ausreichend geschützt wäre (Schutzbedürfnis).
Das Berufungsgericht hat sich zwar bei seiner Prüfung an den vorstehenden Voraussetzungen orientiert. Auch hat es nicht grundsätzlich verkannt, dass die von ihm angenommene Leistungsnähe des Klägers zur Montageleistung des Beklagten für sich allein die Einbeziehung des Klägers in die Schutzwirkung der Vereinbarung zwischen der Nießbrauchsberechtigten und dem Beklagten noch nicht rechtfertigt, sondern vielmehr weitere Bedingungen (Einbeziehungsinteresse, Erkennbarkeit und Zumutbarkeit, Schutzbedürfnis) erfüllt sein müssen. Letzteres hat die Vorinstanz jedoch auf unzureichender Tatsachengrundlage und unter Außerachtlassung dessen, dass an die Bestimmung des Kreises der drittbegünstigten Personen strenge Maßstäbe anzulegen sind, bejaht.
Insbesondere tragen die getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die Annahme, die Nießbrauchsberechtigte habe ein Interesse an der Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich der mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarung gehabt, das für diesen erkennbar gewesen sei. Ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages ist nach der dargestellten Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn entweder — wie in den „Wohl-und-Wehe-Fällen“ — zwischen ihm und dem Dritten eine rechtliche Beziehung mit persönlicher Fürsorge- und Obhutspflicht oder sozialer Abhängigkeit besteht oder ihm — ohne eine derartig enge Bindung — Schutzpflichten gegenüber dem Dritten aufgrund einer Sonderverbindung in Gestalt eines sonstigen Vertrages oder zumindest eines Gefälligkeitsverhältnisses oder eines besonderen sozialen Kontaktes obliegen. Solche besonderen Beziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Kläger sind weder festgestellt noch ersichtlich. Eine familiäre Bindung ebenfalls nicht. Auch war keine in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis wurzelnde soziale Abhängigkeit des Klägers zu ihr gegeben. Andere vertragliche Beziehungen zwischen ihnen bestanden ebenfalls nicht. Insbesondere hatte nicht die Nießbrauchsberechtigte den Kläger, sondern der Erstbeklagte den Arbeitgeber des Klägers mit den Fassadenarbeiten beauftragt. Eine mögliche Haftung wegen schuldhafter Verletzung der Schutzpflicht des Bestellers entsprechend § 618 BGB aus dem insoweit auch für den Kläger Schutzwirkung entfaltenden Werkvertrag träfe deshalb nur den Erstbeklagten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann aus dem von ihm angenommenen allgemeinen Bestreben eines Auftraggebers, „niemanden“ durch die Lampe zu Schaden kommen zu lassen beziehungsweise die Sicherheit „aller Personen“ zu gewährleisten, die mit ihrem Wissen und Wollen mit der Lampe in Berührung kommen würden, ihr Einbeziehungsinteresse nicht hergeleitet werden. Denn dieses Anliegen gründete sich nicht auf eine rechtsgeschäftliche oder auch nur soziale Sonderbeziehung der Nießbrauchsberechtigten zum Kläger, sondern allenfalls auf ihr möglicherweise obliegende deliktische Verkehrssicherungspflichten, die gegenüber jeder befugt am eröffneten Verkehr teilnehmenden Person zu beachten sind. Eine solche aus deiktischen Vorschriften folgende allgemeine gesetzliche Verpflichtung, Rechtsgüter beliebiger Dritter nicht zu schädigen, kann aber die Annahme eines Gläubigerinteresses an einer stillschweigenden Einbeziehung eines bestimmten Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages nicht rechtfertigen.
Der Umstand, dass eine Haftpflichtversicherung besteht, spielt keine Rolle. Denn das Bestehen einer Haftpflichtversicherung kann zwar unter Umständen gegen einen konkludierten Haftungsausschluss sprechen, nicht aber das Fehlen anspruchsbegründender Tatsachen kompensieren.
Scheiden sonach Ansprüche des Klägers aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus, kommt es für eine etwaige Haftung des Beklagten darauf an, ob die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 oder des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB erfüllt sind, was das Berufungsgericht ausdrücklich offen gelassen hat.
In diesem Zusammenhang weist der Senat für die neue Verhandlung und Entscheidung darauf hin, dass auch die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe pflichtwidrig und leicht fahrlässig infolge eines Augenblicksversagens bei der von ihm nach eigenen Angaben nach der Montage durchgeführten Kontrollmessung übersehen, dass der durch den Nagel durchtrennte Schutzleiter funktionslos war und über die von ihm fachgerecht vorgenommene Verbindung des Schutzleiterendstücks Strom auf das Lampengehäuse floss, nicht frei von Rechtsfehlern ist.