Anwalt haftet nicht für kreative Rechtsfortbildung

BGH, Urteil vom 17.3.2016 — Aktenzeichen: IX ZR 142/14

Sachverhalt
Der Kläger beauftragte den Beklagten mit der Durchsetzung eines Versäumnisurteils über etwa 220.000,00 € gegenüber seinem Schuldner. Dem Schuldner gehörte mit einem anderen Gesellschafter zusammen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der ihrerseits eine Eigentumswohnung gehörte. Der Beklagte ließ den Gesellschaftsanteil pfänden, kündigte den Gesellschaftsvertrag und beantragte eine Teilungsversteigerung, die mit Beschluss vom 12.10.2005 angeordnet wurde. Die Teilungsversteigerung wurde dann nicht weiter betrieben. Am 03.06.2006 trat der weitere Gesellschafter seinen Gesellschaftsanteil an den Schuldner ab. Am 03.04.2006 wurde eine Gesamtgrundschuld in Höhe von 250.000,00 € zu Gunsten einer Sparkasse in das Wohnungsgrundbuch eingetragen. Das Teilungsversteigerungsverfahren wurde mit Beschluss vom 14.02.2008 aufgehoben, nachdem der Beklagte keinen Fortsetzungsantrag gestellt hatte. Bei einer auf Antrag der Sparkasse betriebenen Zwangsversteigerung wurde ein Erlös von 40.100,00 € erzielt – allerdings erst im Jahr 2010. Der Kläger klagte dann vergeblich gegen die Sparkasse auf Auskehr des Versteigerungserlöses.

Im Anwaltshaftungsverfahren, welches auf Schadenersatz gerichtet war, hat das Landgericht Stade die Klage abgewiesen, das OLG Celle den Beklagten verurteilt.

Entscheidung
Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Berufungsgericht hatte angenommen, der Beklagte habe den Kläger unzutreffend beraten; er hätte einen Fortsetzungsantrag stellen und den Kläger darauf hinweisen müssen, dass er sonst seine Rechtsposition verlieren würde; denn die Übertragung des Gesellschaftsanteils auf den Schuldner sei im Verhältnis zum Kläger unwirksam gewesen, sie hätte eine Fortsetzung der Teilungsversteigerung nicht gehindert.

Nach Auffassung des BGH hat der Rechtsanwalt seine Pflichten nicht durch unzutreffende Belehrung verletzt. Nach Auffassung des BGH kann der Mandant von einem Anwalt die Kenntnis der einschlägigen Rechtsnorm erwarten, bei deren Auslegung er sich grundsätzlich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren hat. Fehle dagegen eine höchstrichterliche Rechtsprechung, kann der Anwalt sich die erforderlichen Erkenntnisse auch durch Einsichtnahme in die einschlägigen Kommentierungen verschaffen. Ungewöhnliche Fallgestaltungen, die weder Gegenstand einer höchstrichterlichen noch einer instanzgerichtlichen Entscheidung waren, noch in einem der gängigen Kommentare oder Lehrbücher behandelt werden, hat er auf der Grundlage eigener, juristisch begründeter Überlegungen zu bearbeiten.

Im vorliegenden Fall war eine solche Konstellation gegeben. Denn der Beklagte hatte in der gegebenen Situation angenommen, dass eine Teilungsversteigerung nicht mehr in Betracht komme und sich das Pfandrecht am Gesellschaftsanteil an dem Anspruch auf Auseinandersetzung des Gesellschaftsvermögens fortgesetzt habe, weshalb er dann schließlich auch (vergeblich) die Sparkasse auf Auskehrung des Versteigerungserlöses in Anspruch genommen habe. Lösungsversuchen zu der aufgeworfenen Problematik ist nämlich gemeinsam, dass es sich bei ihnen allen um Rechtsfortbildungslösungen handelte, die weder aus Gesetz, Rechtsprechung noch Literatur erfolgten und deshalb nicht vom Beklagten einzusehen gewesen wären.

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