Wird der Regress des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII bedeutungslos?

Landgericht Berlin, Urteil vom 17.6.2019 — Aktenzeichen: 28 O 457/15

Ansprüche aus § 110 SGB VII verjähren (kenntnisunabhängig und taggenau) in drei Jahren nach bindender Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers. Gilt dies auch für den Regress des Rentenversicherungsträgers? Oder ist für den Verjährungsbeginn dann auf die Leistungsfeststellung des Rentenversicherungsträgers abzustellen? Das Landgericht Berlin stellt auf den Unfallversicherungsträger ab. Damit stünde der Regress des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII vor der Bedeutungslosigkeit.

Leitsatz
Für den Beginn der Verjährung von Ansprüchen des Rentenversicherungsträgers nach § 110 SGB VII kommt es nach § 113 SGB VII auf die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers an, nicht auf die des Rentenversicherungsträgers.

Sachverhalt
Es geht um eine Klage des Rentenversicherungsträgers.

Im Betrieb der Beklagten ereignete sich im Jahr 2007 ein Arbeitsunfall. Ein Leiharbeiternehmer griff mit den Händen in den Pressbereich einer Exzenterpresse und verletzte sich dabei erheblich, so dass die Hände amputiert werden mussten. Die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) erbrachte unmittelbar nach Feststellung des Arbeitsunfalls Leistungen, u.a. wurde am 30.10.2007 Verletztengeld gezahlt. Darüber hinaus wurde mit Bescheid vom 09.04.2008 Pflegegeld bewilligt.

Der zuständige Rentenversicherungsträger bewilligte mit Bescheid vom 15.07.2009 eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die BG hatte zwischenzeitlich Klage gegen die Beklagten, also den Unfallbetrieb und deren Geschäftsführer, nach § 110 SGB VII erhoben mit der Behauptung, diese hätten den Arbeitsunfall grob fahrlässig herbeigeführt. Die Beklagten wurden durch die Instanzen rechtskräftig zu Aufwendungsersatz an die BG verurteilt.

Auch der Rentenversicherungsträger hatte Ansprüche angemeldet. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten verzichtete gegenüber dem Rentenversicherungsträger mit Schreiben vom 20.09.2011 wiederholt bis Ende 2015 auf die Einrede der Verjährung, soweit nicht Verjährung schon eingetreten ist. Man wollte das Klageverfahren der BG abwarten. Nach deren Abschluss klagte auch die Rentenversicherung.

Die Parteien stritten u.a. um Verjährung. Der klagende Rentenversicherungsträger stellte sich auf den Standpunkt, es komme für den Beginn der Verjährung auf ihren eigenen Bescheid als bindende Leistungsfeststellung an, der erst im Juli 2009 ergangen sei. Demgegenüber stellte sich die Beklagtenseite auf den Standpunkt, maßgeblich sei allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers.

Hintergrund ist die gesetzliche Regelung in § 113 SGB VII. Während die Anspruchsgrundlage des § 110 SGB VII selbst von Sozialversicherungsträgern spricht und damit auch die Rentenversicherungsträger einschließt, spricht die spezielle Verjährungsregelung in § 113 SGB VII explizit betreffend den Verjährungsbeginn von der bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers. Wäre für Ansprüche des Rentenversicherungsträgers auf die bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers abzustellen, wären in Ansehung der dreijährigen kenntnisunabhängigen taggenauen Verjährungsfrist Ansprüche verjährt; denn der Verjährungsverzicht wäre erst danach erklärt worden. Wäre auf den Bescheid der Rentenversicherung abzustellen, wäre die Forderung nicht verjährt.

Entscheidung
Das Landgericht hielt die Forderung der Klägerin nach § 110 SGB VII für verjährt. Es hat sich bei der Auslegung an dem klaren Wortlaut des Gesetzestextes orientiert. Zwar sei auch ein Rentenversicherungsträger grundsätzlich nach § 110 SGB VII, der von Sozialversicherungsträgern spreche, aktivlegitimiert. Allerdings werde in § 113 SGB VII als Verjährungsbeginn der Tag, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend wird, bestimmt. Der insoweit eindeutige Wortlaut unterscheide daher hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger.

Dem (zutreffenden) Argument der Klägerin, dass der Anspruch schon verjährt sein könne, bevor ihre Leistungspflicht überhaupt entstanden sei, begegnete das Landgericht mit dem Hinweis, dass die Problematik bereits bei den Vorgängernormen der §§ 640, 642 RVO bekannt gewesen sei. Trotz der bekannten Problematik habe der Gesetzgeber bei Schaffung des SGB VII keine abändernde Entscheidung getroffen. Deshalb sei kein Raum für eine analoge Anwendung, da keine Regelungslücke vorliege. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Praxishinweis:
Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, bedeutete dies faktisch wohl das Aus für den § 110-Regress für die Rentenversicherung. Denn regelmäßig erfahren die Rentenversicherungsträger erst viel später vom Arbeitsunfall. Zunächst ist nämlich der Unfallversicherungsträger zuständig; zum Zeitpunkt der bindenden Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers stehen Leistungen der Rentenversicherung regelmäßig noch nicht zur Debatte.

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