Wiedereinsetzung nach Erkrankung des Rechtsanwaltes

BGH, Beschluss vom 08.08.2019, Az. VII ZB 35/17

amtlicher Leitsatz
Der Einzelanwalt, der am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist unvorhergesehen erkrankt und deshalb nicht mehr in der Lage ist, die Berufungsbegründung rechtzeitig fertigzustellen, genügt seinen Sorgfaltspflichten regelmäßig dann, wenn er einen Vertreter beauftragt, der einen Fristverlängerungsantrag stellt. Erteilt die Gegenseite in diesem Fall die zur Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 ZPO erforderliche Einwilligung nicht und wird die Frist deshalb nicht verlängert, ist dem Berufungsführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren (Fortführung von BGH, Beschluss vom 6.Juli2009 -II ZB 1/09, NJW 2009, 3037).

Sachverhalt
Der Einzelanwalt erkrankt am 06.11.2016 nach dem Abendessen. Er erlitt eine schwere, bisher unbekannte Nahrungsmittelallergie mit Symptomen von Fieber, Übelkeit und Durchfall. Er konnte erst am 11.11.2016 wieder die Arbeit aufnehmen.
Über seine Mutter bat er eine selbständige Kollegin, die bei Bedarf als freie Mitarbeiterin für ihn tätig wird, zu beantragen, die am 07.11.2016 endende (bereits verlängerte) Frist zur Berufungsbegründung erneut zu verlängern. Dies erfolgte auch am 07.11.2016 durch die Kollegin. Nachdem sie das Büro wieder verließ und erhielt sie nach Rückkehr um 16:00 Uhr die telefonische Mitteilung des Gerichts, dass die erforderliche Zustimmung der Gegenseite nicht anwaltlich versichert worden sei. Eine solche Zustimmung lag auch nicht vor. Bei einem Telefonat am 08.11.2016 verweigerte die Gegenseite dann die Zustimmung. Daraufhin reichte die Rechtsanwältin noch am 08.11.2016 eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ein.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (also den 07.11.2016, an dem die Frist ablief und aufgrund fehlender Zustimmung nicht verlängert werden konnte) wurde von dem Berufungsgericht zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe
Wiedereinsetzung wurde vom BGH gewährt.

Zwar ist der Anwalt gehalten, Vorkehrungen für den Eintritt einer Verhinderung zu treffen; konkrete Maßnahmen für eine Abwesenheit hat er allerdings nur dann zu treffen, wenn er diese vorhersehen kann. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Anwalt eine Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tage ausschöpft und daher grundsätzlich höhere Sorgfaltspflichten zu erfüllen hat.

Der Einzelanwalt, der unvorhergesehen kurz vor oder am Tag des Fristablaufs erkrankt und die Berufungsbegründung daher nicht fertigen kann, genügt seinen Pflichten grundsätzlich, wenn er über einen Kollegen eine Fristverlängerung beantragt. Es kann von ihm als Einzelanwalt und alleinigen Sachbearbeiter nicht verlangt werden, in der Kürze der Zeit von einem Dritten die Berufungsbegründung in dessen eigener Verantwortung fertigen zu lassen.

Der BGH hat offen gelassen, ob die am 07. und  08.11.2016 tätige Kollegin gehalten gewesen wäre, noch am 07.11.2016 die Zustimmung einzuholen. Denn selbst wenn diese am 07.11.2016 gefragt worden wären, hätten sie ihre Zustimmung nicht erklärt. Eine etwaige Pflichtverletzung wäre damit jedenfalls nicht kausal geworden.

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