Nochmal Rentenkürzungsschaden gem. § 77 SGB VI

Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 24.3.2017 — Aktenzeichen: S 70 R 320/12

Mit Urteil vom 20.12.2016 hat der BGH zur Frage des sog. „Rentenkürzungsschadens“ auf Grundlage des § 77 II 1 Nr. 2a SGB VI Stellung genommen. Ausgangspunkt für das Revisionsverfahren war die Entscheidung des OLG Braunschweig vom 27.10.2015, Az.: 7 U 61/14. Insoweit wird an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen auf die in dieser Homepage unter der Rubrik „Praxis aktuell“ am 23.11.2016 veröffentlichte Entscheidung und die dortigen Anmerkungen zum Sachverhalt und den Rechtsausführungen des OLG verwiesen. Eine ausführliche Darstellung der BGH-Entscheidung finden Sie ebenfalls unter der Rubrik „Praxis aktuell“ mit Datum 2.3.2017.

Leitsatz
Wird eine Altersrente, die vorzeitig in Anspruch genommen wurde, infolge eines Regressanspruchs vom Haftpflichtversicherer dem Rentenversicherungsträger erstattet, hat der Rentenbezieher die Rente für den regressierten Zeitraum „nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen“. Entsprechend ist der Zugangsfaktor gem § 77 Abs 3 S 3 Nr 1 SGB 6 zu erhöhen.

Entscheidung
In dem bis zur Revision gelangenden zivilrechtlichen Schadensersatzprozess des Unfallgeschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers auf Erstattung des sich wegen des Unfalls nach § 77 II SGB VI eingestellten „Rentenkürzungsschadens“ (gekürzter Rentenzugangsfaktor) hat der BGH festgestellt:

Ein nach § 249 BGB vom Schädiger und Haftpflichtversicherer zu ersetzenden Rentenkürzungsschaden sei „nicht zu verneinen“, wenn der Geschädigte nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen trotz der vom Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer erstatteten Rentenzahlungen und entgangenen Pflichtbeiträgen nach §§ 116 und 119 SGB X an den (regressierenden) Rentenversicherungsträger eine Kürzung seiner Altersrente hinnehmen muss. Ob aber eine Kürzung der Altersrente wegen des Bezugs der vorgezogenen Altersrente nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI auch dann gerechtfertigt sei, wenn der Geschädigte durch obige Zahlungen wirtschaftlich so gestellt wird, als sei er bis zum Erreichen der Regelaltersrente erwerbstätig gewesen, sei eine sozialversicherungsrechtliche Vorfrage, die im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 118 SGB X im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden sei.

Der BGH hat die Frage der Eintrittspflicht für den Rentenkürzungsschaden somit offen gelassen, aber gleichwohl die Weichen gestellt: Liegt eine Rentenkürzung beim Geschädigten vor, hat diese der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer zu ersetzten.

Das vom Unfallgeschädigten gegen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) vor dem Sozialgericht Braunschweig eingeleitete Klageverfahren auf Rentenzahlung unter Zugrundelegung eines — trotz des Unfalls — ungekürzten Zugangsfaktors von 1.0 hatte Erfolg. Die DRV wurde verurteilt, dem Kläger die Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2010 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Für die Frage einer Einstandspflicht des Schädigers/Haftpflichtversicherers bedeutet dies: Da kein unfallbedingter Schaden beim Geschädigten — keine Schadensersatzverpflichtung. Denn nach Ansicht des Sozialgerichts verbleibt der „Schaden“ wegen der Zahlungen der Schädigerseite an die DRV letztlich dort:

„§ 77 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB VI bestimmt, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die Versicherte bei einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 je Kalendermonat erhöht wird. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nimmt somit derjenige die vorgezogene Altersrente „nicht mehr in Anspruch“, der die Rente nicht mehr erhält oder zurückzahlt. Aus welchem Grund dies geschieht oder ob der Kläger selbst oder ein Dritter die Rente „zurückzahlt“, ist dabei unerheblich. Vorliegend hat die Beigeladene der Beklagten (Kfz-Haftpflichtversicherer) die vom 1. März 2006 bis zum 31. Mai 2010 an den Kläger gezahlte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in voller Höhe erstattet. Die Rente ist dadurch auf Seiten der Beklagten „entfallen“. Der Kläger hat sie folglich „nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen“. Die Beklagte (DRV) ist somit verpflichtet, die Entgeltpunkte gemäß § 77 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB VI zu erhöhen. Der Kläger hatte die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für 51 Kalendermonate vorzeitig bezogen. Die Entgeltpunkte des Klägers, die Grundlage dieser Altersrente waren, sind somit ab Beginn der Regelaltersrente um jeweils 0,003 für 51 Kalendermonate zu erhöhen, so dass der Zugangsfaktor auch für diese Entgeltpunkte 1,000 beträgt.“

Die Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Stand heute ist beim BSG kein diesbezügliches Verfahren anhängig.

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