Mitverschulden des Beifahrers durch außergewöhnliche Sitzhaltung

OLG München, Urteil vom 12.1.2018 — Aktenzeichen: 10 U 2718/15

Wenn durch eine extrem vorgebeugte Sitzposition des Beifahrers die Schutzfunktion des Gurtes aufgehoben wird und sich dies auf den Verletzungsumfang auswirkt, so ist ein Mitverschulden des Beifahrers zu berücksichtigen.

Leitsatz
Dem Beifahrer ist grundsätzlich ein Verschulden „seines“ Fahrers gegenüber dem Unfallgegner nicht zuzurechnen.

Wird durch eine besondere Sitzposition die Schutzfunktion des Gurtes vollständig aufgehoben und führt dies zur Verletzungen, die andernfalls durch den Gurt verhindert worden wäre, ist ein Mitverschulden gem. § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

Bei der Berechnung des fiktiven Haushaltsführungsschadens ist ein Stundenlohn in Höhe von 8,00 € angemessen.

Sachverhalt
Der Ehemann der Klägerin befuhr eine mehrspurige Straße und wechselte unmittelbar vor der Beklagten ohne Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes auf den linken Fahrstreifen. Da das vorausfahrende Fahrzeug verzögerte, musste auch der Ehemann der Klägerin abbremsen. Hierdurch fuhr die Beklagte auf das vom Ehemann der Klägerin geführte Fahrzeug, in welchem die Klägerin sich als Beifahrerin befunden hat, auffuhr.

Während der Kollision war die Klägerin gerade nach hinunter gefallenen Gegenständen suchend in den Fußraum nach vorne gebeugt. Hierdurch ereignete sich ein Primäranstoß mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat teilweise erfolgte.

Entscheidung
Gegenüber der Klägerin haftet die Beklagte bereits allein aus der Betriebsgefahr (§ 7 Abs. 1 StVG), da Anhaltspunkte für eine höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG nicht erkennbar sind. Der Anspruch ist nicht durch ein Verschulden „ihres“ Fahrers zu kürzen. Hierzu bedürfte es einer besonderen Rechtsgrundlage, welche nicht erkennbar ist. Der Ehemann ist weder Erfüllungsgehilfe noch gesetzlicher Vertreter der Klägerin gewesen, sodass eine Zurechnung nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB ausscheidet. Eine weitere vertragliche Sonderbeziehung ist ebenfalls nicht dargelegt. Der Umstand, dass es sich bei dem Fahrer um den Ehemann der Klägerin gehandelt hat, genügt für eine Zurechnung nicht. Insbesondere ist der Ehemann kein weisungsgebundene „Verrichtungsgehilfe“ im Sinne des § 831 BGB.

Allerdings, so der Senat weiter, ist zu berücksichtigen, dass durch die besondere Sitzposition der Klägerin ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens die Schutzfunktion des Gurtes aufgehoben worden ist. Des Weiteren bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei normaler Sitzhaltung und dann gegebener Rückhaltefunktion durch den Sicherheitsgurt die erlittene länger belastende Schädelprellung und das Hämatom am linken Arm als die schwersten der erlittenen Verletzungen der Klägerin ebenfalls eingetreten wäre. Die nicht ordnungsgemäße Verwendung des Sicherungssystems begründet wie ein Nichtanschnallen ein Mitverschulden im Sinne des §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG. Vorliegend bewertet der Senat das Mitverschulden mit 40%.

Hinsichtlich der Schadenhöhe bestätigt der Senat seine ständige Rechtsprechung und erachtet einen Stundensatz von 8,00 € bei der Berechnung des fiktiven Haushaltsführungsschadens für ausreichend und angemessen.

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