Konkurrenz § 119 SGB X zu § 179 SGB VI
OLG Hamm, Urteil vom 9.11.2018 — Aktenzeichen: 9 U 39/18
Leitsatz
1. Ein eventuell bestehendes Konkurrenzverhältnis zwischen § 179 SGB VI und § 119 SGB X löst sich dahingehend auf, dass, insbesondere vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 2007, VI ZR 192/06, vom 1. Juli 2014, VI ZR 546/13 und vom 16. Juni 2015, VI ZR 416/14, ein stetiger Vorrang des § 119 SGB X zugunsten des Rentenversicherungsträgers zu verneinen ist, wenn und soweit der Bund Rentenversicherungsbeiträge erstattet, die den Erwerbsschaden des Geschädigten zu kompensieren geeignet sind.
2. Es ist nicht ersichtlich, warum der Rentenversicherungsträger, der selbst keine Beiträge zur Kompensation dieses Schadens erbracht hat, Inhaber eines nach § 119 SGB X auf ihn übergegangenen Anspruchs sein soll, den ein anderer Leistungsträger erfüllt hat. Durch die Schaffung des § 179 SGB Abs. 1a VI sollte vielmehr genau für diesen Fall dem Bund eine Regressmöglichkeit an die Hand gegeben werden, wenn er den Erwerbsschaden des Geschädigten ausgeglichen hat.
Sachverhalt
Am 16.12.2006 wurde X bei einem Unfall mit einem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten, auf die Beklagte zu 1) zugelassenen Abschleppwagen verletzt und erlitt u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, ein Hirnödem und umfangreiche Lähmungen und ist seitdem auf die Benutzung eines Rollstuhls, die Ernährung durch eine Magensonde und die umfassende Hilfe Dritter angewiesen.
Das klagende Land begehrt die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen, die der Bund für ein Unfallopfer erstattet hat, welches nach dem Unfall in einer Behindertenwerkstätte arbeitete. Die Deutsche Rentenversicherung ist hingegen der Auffassung, sämtliche Ansprüche der Verletzten seien bereits gemäß § 119 SGB X im Unfallzeitpunkt auf sie übergegangen, zumal diese bereits im Jahre 2008 den Beitragsregress angemeldet habe.
Entscheidung
Es geht um das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Anspruchsübergang nach § 179 Abs. 1a SGB VI auf den Bund als Träger einer Behindertenwerkstatt und der DRV als Rentenversicherer nach § 119 SGB X.
Für behinderte Menschen, die im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches tätig sind, erstattet der Bund den Trägern der Einrichtung deren Aufwendungen und führt Sozialversicherungsbeiträge ab. § 179 Abs. 1a SGB VI besagt, dass ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens geht auf den Bund über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Erstattungsleistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 3 erbracht hat.
Steht dem nun entgegen, dass gemäß § 119 Abs. 1 SGB X dann, wenn der Erwerbstätige zum Zeitpunkt des Unfalls bereits in einem Rentenversicherungsverhältnis zu dem Rentenversicherungsträger steht, der Übergang nach § 119 SGB X bereits im Zeitpunkt des Unfalls erfolgt?
Das OLG Hamm meint: nein. Der errechnete Erwerbsschaden der Frau X ist gemäß auf den Bund übergegangen, als er die entsprechenden Rentenversicherungsleistungen erstattete. Der Anspruchsübergang wird auch nicht etwa dadurch gehindert, dass ein eventueller Erwerbsschaden bereits zuvor und insbesondere im Unfallzeitpunkt auf den Träger der Rentenversicherung übergegangen ist. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Erwerbsschaden auf den zuständigen Rentenversicherungsträger übergehen, wenn der Erwerbstätige zum Zeitpunkt des Unfalls bereits in einem Rentenversicherungsverhältnis zu dem Rentenversicherungsträger steht. Der Übergang erfolgt sodann nach § 119 SGB X bereits im Zeitpunkt des Unfalls, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Gleichwohl löst sich nach Auffassung des Senats ein eventuell bestehendes Konkurrenzverhältnis zwischen § 179 SGB VI und § 119 SGB X dahingehend auf, dass, insbesondere vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 2007, VI ZR 192/06, vom 01. Juli 2014, VI ZR 546/13 und vom 16. Juni 2015, VI ZR 416/14, ein stetiger Vorrang des § 119 SGB X zugunsten des Rentenversicherungsträgers zu verneinen ist, wenn und soweit der Bund Rentenversicherungsbeiträge erstattet, die den Erwerbsschaden des Geschädigten zu kompensieren geeignet sind. Denn es ist nicht ersichtlich, warum der Rentenversicherungsträger, der selbst keine Beiträge zur Kompensation dieses Schadens erbracht hat, Inhaber eines nach § 119 SGB X auf ihn übergegangenen Anspruchs sein soll, den ein anderer Leistungsträger erfüllt hat. Durch die Schaffung des § 179 SGB Abs. 1 a VI auf Betreiben des Bundesrechnungshofes sollte vielmehr genau für diesen Fall dem Bund eine Regressmöglichkeit an die Hand gegeben werden, wenn er den Erwerbsschaden des Geschädigten ausgeglichen hat. Andernfalls ginge die Vorschrift weitgehend ins Leere. Es kann jedoch weder dem Willen des Gesetzgebers bei Schaffung der Regressnorm noch des Bundesgerichtshofes bei Auslegung derselben entsprochen haben, den Schädiger zu entlasten, wenn durch die Leistungen des Bundes der Erwerbsschaden des Geschädigten ausgeglichen wird. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als nur eine scheinbare Konkurrenz zwischen dem Bund und dem Rentenversicherungsträger besteht. Denn mit Beginn der Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge durch den Bund an den für die Geschädigte X zuständigen Rentenversicherungsträger hatte diese keinen Beitragsschaden mehr zu verzeichnen.