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Keine Straßenverkehrssicherungspflicht der Gemeinde für Schäden an tiefergelegten Fahrzeugen

OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 07.12.2021 – 12 U 1012/21

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Wird im Straßenverkehr eine Gefährdung durch solche risikoerhöhenden Umstände wesentlich (mit-)begründet, die sich aus einer besonderen Bauart des gefährdeten Fahrzeugs ergeben, wie etwa eine – auch serienbedingte – Tieferlegung und/oder sonstige konstruktive Besonderheit, die zu einer Verringerung der üblicherweise zu erwartenden Bodenfreiheit führen und so ein Aufsetzen begünstigen, muss der Fahrzeugführer dieses seinem Gefahrenkreis zuzurechnende Risikomoment durch erhöhte eigene Aufmerksamkeit und Vorsicht kompensieren (hier: Ferrari F 40 mit serienmäßiger Bodenfreiheit von 12,5 cm).
  2. Der Fahrer eines solchen Fahrzeugs muss nicht nur Bodenunebenheiten eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden, sondern auch bei starker Fahrbahnwölbung mit einem seitlich abfallenden Fahrbahnrand darauf achten, ob die Straße für sein „nicht alltagstaugliches“ Fahrzeug gefahrlos nutzbar ist.
  3. Die für die Verkehrssicherungspflicht zuständige Straßenbehörde muss nicht sicherstellen, dass eine Straße von jedem zum Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeug befahren werden kann; eine Zulassung für den Straßenverkehr besagt nichts darüber, in welchen Verkehrssituationen ein Fahrzeug mit einer geringen Bodenfreiheit verkehrstauglich ist oder nicht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Kaskoversicherung begehrt von der beklagten Gemeinde Schadensersatz wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Ihr Versicherungsnehmer sei mit seinem Ferrari aufgrund von Straßenschäden (Fahrbahnwölbung mit seitlich abfallendem Fahrbahnrand und dadurch überstehender Gullydeckel) auf der Straße aufgesetzt. Hierbei entstand ein Sachschaden i.H.v. 60.000€.

Das Landgericht wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Das OLG Koblenz bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr getragenen Versicherungsleistungen. Bei der Unfallstelle handelt es sich nicht um eine Gefahrenstelle, die die Beklagte beseitigen müsse. Die Beklagte haftet daher schon mangels Verkehrssicherungspflicht nicht.

Die Verkehrssicherungspflicht stellt eine allgemeine Rechtspflicht dar, nach der im Verkehr auf die Rechtsgüter anderer Rücksicht zu nehmen ist. Insbesondere ist derjenige, der eine Gefahrenquelle für die Rechtsgüter anderer schafft, verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um Gefahren oder Schädigungen dieser Rechtsgüter möglichst zu verhindern. Wird diese Pflicht verletzt, stellt dies ein deliktisches Verhalten dar, das eine Schadensersatzpflicht begründet.

Die zu treffenden Vorkehrungen richten sich nach dem, was ein umsichtiger, verständiger und in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend zur Schadensverhinderung hält. Inhalt, Umfang und Grenzen bestimmen sich nach den berechtigten Sicherungserwartungen des Verkehrs (Vertrauensschutz, legitime Erwartungen des regulären Nutzers) aber auch nach der tatsächlichen und wirtschaftlichen (finanziellen, organisatorischen und personellen) Zumutbarkeit. Für das allgemeine Lebensrisiko hat der Verkehrssicherungspflichtige hingegen nicht einzustehen. Weiterhin sind nur diejenigen Maßnahmen vorzunehmen, die objektiv erforderlich und objektiv zumutbar sind.

Die Verkehrssicherungspflicht ist zum einen auf der Grundlage der verkehrssicherungspflichten Straße zu beurteilen. Maßgeblich ist dabei die Art des Verkehrsweges, die Lage und das Umfeld sowie die Verkehrsbedeutung. Zum anderen ist auf den Vertrauensschutz des Verkehrssicherungspflichtigen, dass Dritte sich in verständiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen, abzustellen. Kann der Verkehrsteilnehmer die konkreten Gefahren erkennen, ist er nicht mehr schutzwürdig und die Gemeinde treffen keine weiteren Schutzpflichten, solange der Straßenbenutzer die erkennbare Gefahr bei zweckgemäßer Nutzung unter der gebotenen Aufmerksamkeit selbst abwenden kann. Daher ist der Verkehrssicherungspflichtige ist auch nur verpflichtet, diejenigen Gefahren zu beseitigen oder vor ihnen zu warnen, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht (rechtzeitig) erkennbar sind oder er sich hierauf nicht mehr (rechtzeitig) einstellen kann.

 

Es kann jedoch ein Mitverschulden begründen, wenn die Straße mit einem tiefergelegten oder einem sich aus sonstiger besonderer Bauart ergebende geringere Bodenfreiheit aufweisenden Fahrzeug befahren wird. Der Fahrzeugführer muss sich dieses Risiko zurechnen lassen und besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Wird eine Straße im schlechten Allgemeinzustand befahren, die aber erkennbare Unebenheiten aufweist, auf die sich der Fahrzeugführer einstellen kann, tritt die Haftung des Straßenbaulastträgers hinter dem Mitverschulden des Fahrzeugführers zurück. Diese bedürfen auch keiner Sicherung oder Warnung.

Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsnehmer den Schaden alleine schuldhaft herbeigeführt. Seine Fahrweise entsprach nicht den gesteigerten Anforderungen, die aufgrund der Fahrzeugbeschaffenheit und den Straßenverhältnissen an den Tag zu legen waren. Der schlechte Zustand der Fahrbahn war für ihn erkennbar, sodass er sein Fahrverhalten danach ausrichten musste. Der geringen Bodenfreiheit des Fahrzeugs und die sich dadurch ergebende Gefährdung des Fahrzeugs durch Straßenunebenheiten war er sich bewusst. Vielmehr hätte er eine andere Strecke wählen, das Fahrzeug an anderer Stelle parken oder die Fahrzeughalter der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge zum vorübergehenden Wegfahren beten müssen.

Die Straßenschäden erreichten auch kein unübliches Maß, dass einer Instandsetzung bedurft hätte. Die Beklagte ist ebenso nicht verpflichtet, die Straße zu sanieren, damit diese für alle Fahrzeuge ohne Gefahren befahren werden kann.

 

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass es sich um ein serienmäßig tiefergelegtes Fahrzeug handelt, das über eine Zulassung für den allgemeinen Straßenverkehr verfüge und damit auch der Straßenverkehrssicherungspflicht unterliege, denn die Zulassung ist unabhängig von der Verkehrstauglichkeit und garantiert nicht die gefahrlose Nutzung auf den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen.

(Wissenschaftl. Mitarbeiterin stud. jur. Antonia Hinte)

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