Für den Verjährungsbeginn der Ansprüche aus §§ 116, 119 SGB X ist ausschließlich auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Regressabteilung abzustellen
BGH, Urteil vom 17.4.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 108/11
Leitsatz
Im Deliktsrecht ist für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit abzustellen.
Eine dem Sozialversicherungsträger zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis kann vorliegen, wenn die für den Regress zuständige Organisationseinheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass ein Regress veranlasst sein kann. Sie kommt ferner in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können.
Bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben ist, sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast anwendbar.
Sachverhalt
Bei einem Unfall vom 23.10.1987 wurde der Versicherte des klagenden Sozialversicherungsträgers verletzt. Mitte 1997 wurde dessen Leistungsabteilung aufgrund eines Antrags auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Unfall befasst. Einen weiteren (Arbeits-)Unfall hatte der Versicherte 1994 erlitten. Nur hinsichtlich dieses Unfalls erfolgte eine Abgabe an das für den Regress zuständige Rechtsreferat der Klägerin. In späteren Leistungsanträgen wurde auf beide Unfälle hingewiesen. Auch im nachfolgenden Rentenverfahren erfolgten Hinweise auf die vorangegangenen Unfälle. Das Rechtsreferat der Klägerin wurde über den Unfall vom Jahre 1987 jedoch erst im Februar 2009 informiert, obgleich die Klägerin seit 1984 Büroverfügungen erlassen hatte, nach denen die Unterlagen dem Rechtsreferat zuzuleiten seien, wenn sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen Vorgängen ergebe, dass ein Regress möglich sei.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das Berufungsgericht hat sich zunächst auf die Seite der Beklagten gestellt und Verjährung der Regressansprüche mit Ende des Jahres 2008 angenommen. Zur Begründung führte es aus, der in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB neu aufgenommene Verjährungsbeginn bei grob fahrlässiger Unkenntnis sei allgemein zu verstehen, so dass sich ein Sozialversicherungsträger nunmehr auch grob fahrlässige Unkenntnis seiner Leistungsabteilung zurechenen lassen müsse. Diesem Ansatz ist der BGH nicht gefolgt. Auch im Lichte des neuen Verjährungsrechts sei für den Verjährungsbeginn regressrechtlicher Ansprüche weiterhin allein auf die Kenntnis oder Unkenntnis der Regressabteilung abzustellen. Nur insoweit sei eine Wissenszurechnung gerechtfertigt, da Behörden ansonsten schlechter gestellt würden, als andere Gläubiger. Sind in einer regressbefugten Behörde somit mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber unmaßgeblich und zwar nach dieser Entscheidung selbst dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine Regressmöglichkeit ergeben. Allerdings hat der BGH auf der anderen Seite die strengen Anforderungen an die Sachbearbeitung und Informationsgewinnung in Regressabteilungen hervorgehoben und die Sache deshalb mit Hinweisen auf eine möglicherweise grob fahrlässige Unkenntnis der konkret zuständigen Regressabteilung ans Berufungsgericht zurückverwiesen. Regressabteilungen haben ihnen zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Es sei ferner Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise sicher zu stellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten. Als grob fahrlässige Unkenntnis könnte nach Ansicht des BGH etwa zu werten sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers hier erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig waren oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam.
Der BGH bestätigt somit zwar seine ständige Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit der Kenntnis/Unkenntnis der Regressabteilung. Darüber hinaus steckt er den Rahmen, in dem sich die entsprechenden Organisationseinheiten Kenntnisse verschaffen müssen, gleichzeitig jedoch sehr weit ab.