Beweislastumkehr beim Hausnotrufvertrag

BGH, Urteil vom 11.5.2017 — Aktenzeichen: III ZR 92/16

Sachverhalt
Die Beklagten haben mit dem (mittlerweile verstorbenen) Kläger einen Hausnotrufvertrag geschlossen, bei dem im Fall eines Notrufs unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt werden sollte, z. B. durch Alarmierung des Rettungsdienstes oder des Hausarztes.

Am 09.04.2012 betätigte der Kläger den Notruf. Der Mitarbeiter der Beklagten vernahm minutenlang ein Stöhnen. Die Beklagte konnte den Kläger telefonisch nicht erreichen und veranlasste, dass sich ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zu der Wohnung begab, der den Kläger am Boden liegend vorfand. Es gelang ihm aber nicht, den übergewichtigen Kläger aufzurichten. Eine ärztliche Versorgung wurde nicht veranlasst. Zwei Tage später wurde der Kläger in der Wohnung mit einer Halbseitenlähmung sowie einer Sprachstörung aufgefunden und in eine Klinik eingeliefert, wo ein nicht mehr ganz frischer, wahrscheinlich ein bis drei Tage zurückliegender Schlaganfall diagnostiziert wurde. Wegen der Folgen dieses Schlaganfalls hat der Kläger die Beklagte in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung war erfolglos.

Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung der Berufungsinstanz aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der BGH betont in seiner Entscheidung, dass es sich beim Hausnotrufvertrag um einen Dienstvertrag im Sinne von § 611 BGB handelt, bei dem kein Erfolg etwaiger Rettungsmaßnahmen geschuldet wird, sondern lediglich die Verpflichtung besteht, unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung zu vermitteln.

Im vorliegenden Fall hätte es sich den Mitarbeitern aber aufdrängen müssen, dass der Kläger medizinische Hilfe benötigte. Bereits die Entsendung eines medizinisch nicht geschulten, lediglich in Erster Hilfe ausgebildeten Mitarbeiters eines Sicherheitsdienstes in der vorliegenden dramatischen Situation stellte nach Auffassung des BGH keine angemessene Hilfeleistung mehr dar. Die Pflichtverletzung sei auch als grob einzustufen und dürfe einem Betreiber eines Hausnotrufdienstes nicht passieren.

Im Bereich der Arzthaftung ist anerkannt, dass ein grober Behandlungsfehler zur Umkehr der Beweislast im Rahmen des Ursachenzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden führt. Der BGH hat im vorliegenden Fall eine Vergleichbarkeit der Interessenlage angenommen und geht davon aus, dass die grobe Verletzung von Berufs- und Organisationspflichten, sofern diese — ähnlich wie beim Arztberuf — dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen, jeweils eine Umkehr der Beweislast rechtfertigt.

Auch wenn der BGH im konkreten Fall diese Beweisgrundsätze nur für den angebotenen Hausnotrufvertrag anwendet, der unzweifelhaft dem Schutz von Leben und Gesundheit älterer und pflegebedürftiger Teilnehmer dienen sollte, stellt der BGH damit klar, dass allein der konkrete Bezug zum Gesundheits- und Lebensschutz ausreicht, um auch außerhalb des Arzthaftungsrechts eine Beweislastumkehr zu rechtfertigen.

In der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung diese Grundsätze bereits auf den Bereich der Pflegeheimhaftung übertragen (vgl. u. a. OLG Hamm, Urteil v. 09.09.2015, AZ 3 U 60/14). Eine vergleichbare Interessenlage lässt sich jedoch bei einer Vielzahl von Dienstleistern annehmen, deren Tätigkeit in irgendeiner Weise mit dem Gesundheitsschutz der Kunden verbunden sein kann.

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