Beratung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Wann ist ein Hinweis auf die Insolvenzreife des beratenen Unternehmens geschuldet?

OLG Frankfurt, Urteil vom 17.1.2018 — Aktenzeichen: 4 U 4/17

Sachverhalt
Die Klägerin macht als Insolvenzverwalter einer AG (Schuldnerin) gegen die Beklagte als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus verschiedenen Beratungsverträgen Ansprüche geltend. Die Beratungsverträge wurden im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Sanierung der Schuldnerin geschlossen. Die Klägerin macht einen Anspruch auf Ersatz eines Schadens wegen Verzögerung der Insolvenzantragsstellung geltend. Insbesondere behauptet die Klägerin, die Beklagte habe im Rahmen der erteilten Aufträge die Insolvenzreife der Schuldnerin überprüfen müssen. Inhaltlich hätten sich die Beratungsverträge mit der Fortführungsfähigkeit der Schuldnerin und etwaigen notwendigen Neuausrichtungen beschäftigt. Die Umsetzung solcher Maßnahmen sei bei einem Vorliegen von Insolvenzgründen unmöglich und jede weitere Beratung zu einer etwaigen Sanierung obsolet. Nach Auffassung der Klägerin sei im Rahmen der Erstellung des Sanierungsgutachtens daher das Nichtvorliegen von Insolvenzgründen zu prüfen gewesen. Dies ergebe sich nach Auffassung der Klägerin auch aus den heranzuziehenden Vorschriften nach dem IDWS 6 — Standard. Bei einer ordnungsgemäßen Prüfung hätte die Beklagte zu dem Ergebnis einer Insolvenzreife kommen müssen, da Verlustausgleichsansprüche von Tochtergesellschaften der Schuldnerin eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründet hätten. Bei einer solchen Feststellung wären weitere Zahlungen in Höhe von ca. 82 Mio. Euro nicht mehr geleistet worden. Diesen Betrag begehrt die Klägerin nun von der Beklagten.

Entscheidung
Das Oberlandesgericht hat die Klage bis auf einen geringen Teil — hierbei ging es um eine Vergütung der Beklagten — abgewiesen. Zunächst führt das OLG aus, dass durch die Verlustausgleichsansprüche der Tochtergesellschaften keine Insolvenzreife der Schuldnerin eingetreten war, die eine Hinweispflicht der Beklagten hätte begründen können. Die Verlustausgleichsansprüche führten nach Auffassung des OLG bis zur Insolvenzantragsstellung nicht zu einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin, da die Ansprüche bis zu diesem Zeitpunkt im insolvenzrechtlichen Sinne nicht fällig waren. Nach der Rechtsprechung des BGH führt die Fälligkeit einer Forderung nach § 271 Abs. 1 BGB nicht notwendig dazu, dass eine Forderung auch im insolvenzrechtlichen Sinne fällig und deshalb bei der Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO zu berücksichtigen ist. Sinn und Zweck des § 17 InsO verlangen vielmehr das Erfordernis des „ernsthaften Einforderns“ als Voraussetzung einer die Zahlungsunfähigkeit begründenden oder zu dieser beitragenden Forderung. Daher ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine nach § 271 Abs. 1 BGB fällige Forderung den Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit zulässt. Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, ergibt. Nach diesen Maßstäben war eine insolvenzrechtliche Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche nicht festzustellen. Es fehlte an einem „ernsthaften Einfordern“, weil die Ansprüche tatsächlich gestundet waren und die Stundung bis zur Stellung dieses Insolvenzantrages aufrechterhalten blieb. Dabei kann die insolvenzrechtliche Fälligkeit auch nicht daraus hergeleitet werden, dass eine Vereinbarung der Stundung von Verlustausgleichsansprüchen konzernrechtlich verbreitet für rechtlich unzulässig gehalten und eine Verpflichtung der abhängigen Gesellschaft angenommen wird, einen Verlustausgleichsanspruch bei Fälligkeit oder spätestens bei Jahresabschlusses geltend zu machen. Es kommt nämlich nicht auf die rechtliche Verbindlichkeit, sondern auf den tatsächlichen Willen des Gläubigers an, die Forderung nicht geltend zu machen. Nach Auffassung des OLG fehlte es daher bereits an der Insolvenzreife der Gesellschaft.

Des Weiteren lehnt das OLG generell eine Prüfungspflicht aus den bestehenden Verträgen ab. Für die Pflichten des Beraters aus einem im Zusammenhang mit einer Unternehmenssanierung geschlossenen Beratungsvertrag besteht keine gesetzliche Regelung. Daher ist für Art und Umfang der Pflichten des Sanierungsberaters ausschließlich das im Wege der Vertragsauslegung anhand der dienstvertraglichen Vereinbarung zu ermittelnde Pflichtenprogramm maßgebend. Im Rahmen der Verkehrssitte kommt zur Ermittlung der tatsächlichen Übung eine Heranziehung des zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses geltenden IDW-Standards in Betracht. Dem IDW-Standard kann aber keine verbindliche Vorgabe für eine geschuldete Sanierungsberatung entnommen werden; denn der IDW-Standard entfaltet keine einer gesetzlichen Regelung vergleichbare Bindungswirkung, sondern kann lediglich als Kriterium zur Konkretisierung der sich ohnehin aus der vertraglichen Vereinbarung ergebenden Pflichten dienen. Nach diesen Maßstäben war aus den Beratungsverträgen keine vertragliche Verpflichtung der Beklagten zu entnehmen, dass Bestehen von Insolvenzgründen zu prüfen, die sich aus einer konzernrechtlichen Unzulässigkeit der Stundung von Verlustausgleichsansprüchen ergeben könnten. Der von der Beklagten zu erfüllende Pflichtenkatalog enthielt nach dem Vertragstext keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Prüfung der Insolvenzreife. Vielmehr war der Pflichtenkatalog klar formuliert. Zudem sprach für die Vertragsauslegung, nach der die Beklagte keine Prüfung einer Insolvenzreife schuldete, dass die Schuldnerin das Fehlen einer solchen Prüfung zu keinem Zeitpunkt beanstandet hat.

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