Die Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 InsO für Sekundäransprüche

BGH, Urteil vom 11.1.2018 — Aktenzeichen: IX ZR 37/17

Leitsatz
Die Haftung des Insolvenzverwalters für Sekundäransprüche des Vertragspartners der Insolvenzmasse kann regelmäßig nicht auf Schadensersatzansprüche erstreckt werden, deren Ursache nicht in der Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse begründet ist.

Sachverhalt
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin, nachdem im Jahre 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Mit der Klägerin schloss der Beklagte für die Schuldnerin einen Beförderungsvertrag ab, auf den die Klägerin Vorauszahlungen leistete. Inhalt war der Transport von Rindern aus den USA in die Russische Föderation. Die Schuldnerin verlangte im weiteren Verlauf von der Klägerin die Freistellung von der Haftung für Transportschäden, was die Klägerin ablehnte. Daraufhin weigerte sich die Schuldnerin, den Transport durchzuführen. Die Klägerin kündigte den Vertrag. Die Schuldnerin erkannte die Kündigung nicht an und weigerte sich, die Vorzahlungen zurückzuzahlen. In einem Schiedsverfahren wurde festgestellt, dass die Schuldnerin die Hälfte der Vorauszahlungen zurückzahlen muss. Die Beklagte zeigte daraufhin die Masseunzulänglichkeit an. Die Klägerin macht nun gegen den Beklagten persönlich einen Anspruch nach § 61 Satz 1 InsO geltend. Der Insolvenzverwalter habe mit dem Vertragsschluss über den Rindertransport eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, auch wenn es sich nicht um eine Geldschuld gehandelt habe. Aufgrund der Nichtdurchführung des Transportes habe die Masse ihre vertragliche Verbindlichkeit nicht erfüllt. Die Klägerin habe einen Ausfallschaden erlitten, da der Beklagte, anstatt Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu leisten, Massenunzulänglichkeit angezeigt habe. Das OLG hat der Klage stattgegeben. Dem OLG zufolge erfasse § 61 InsO entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Sekundäransprüche, die ihren Grund gerade in der Masseinsuffizienz hätten, wie dies etwa der Fall sei, wenn der Gläubiger mangels ausreichender Finanzmittel der Masse vom Vertrag zurücktrete. Eine Ausweitung der Haftung sei auch geboten, wenn der Insolvenzverwalter die Erbringung der geschuldeten Leistung ernsthaft und endgültig verweigere, weil ihm ausreichende Finanzmittel fehlten. Hielte man § 61 InsO in diesen Fällen für unanwendbar, könnte sich der Insolvenzverwalter durch einen Vertragsbruch ohne weiteres seiner Verpflichtung entledigen und den Zweck der Vorschrift vereiteln.

Entscheidung
Der BGH weist die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Entscheidung zurück. Der BGH stellt fest, dass sich der § 61 InsO ausschließlich auf die pflichtwidrige Begründung von Masseverbindlichkeiten des Insolvenzverwalters beschränkt. Die Vorschrift legt keine insolvenzspezifischen Pflichten für die Zeit nach Begründung einer Verbindlichkeit fest. Aus ihr ist kein Anspruch auf Ersatz eines Schadens herzuleiten, der auf erst später eingetretenen Gründen beruht. Aus dem § 61 InsO können keine Verbindlichkeiten des Insolvenzverwalters für die Zeit nach Begründung der Masseverbindlichkeit abgeleitet werden. Pflichten zum Schutz der Massegläubiger für die Zeit nach Begründung der Masseverbindlichkeiten ergeben sich aus anderen Normen des Insolvenzrechts. Sie folgen insbesondere aus §§ 53 ff InsO i.V.m. § 60 InsO. Eine Sondernorm hinsichtlich des Schutzes von Vertragspartnern enthält die Insolvenzordnung insoweit nicht (BGH, Urteil vom 6. Mai 2004, aaO S. 110 f). Nicht von § 61 InsO erfasst werden Sekundäransprüche, auf die sich die besondere Pflicht des Insolvenzverwalters, sich zu vergewissern, ob er bei normalem Geschäftsablauf zur Erfüllung der von ihm begründeten Forderungen mit Mitteln der Masse in der Lage sein wird, nicht bezieht (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 — IX ZR 235/07, ZInsO 2008; 1206 Rn. 5). Insoweit ist es nicht gerechtfertigt, dem Vertragspartner der Masse mehr Rechte zuzusprechen als ihm außerhalb einer Insolvenz zuständen. § 61 InsO dient nicht dem Zweck, dem Vertragspartner der Insolvenzmasse einen zweiten Schuldner zu verschaffen, den er bei einer Geschäftsbeziehung außerhalb eines Vertragsschlusses mit einem Insolvenzverwalter nicht hat.

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