Erhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete & Berechnung der Mietfläche

BGH, Urteil vom 17.4.2019 — Aktenzeichen: VIII ZR 33/18

Die Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete unterliegt der Kappungsgrenze (§ 558 Abs. 3 BGB). Wie diese Kappungsgrenze zu berechnen ist bei Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche, stellt der BGH dar. Weiter führt er aus, wonach die Wohnfläche (z.B. Balkone, Schrägen) zu berechnen ist.

Leitsatz

  1. Grundsätzlich wird die Wohnfläche nach der Wohnflächenverordnung berechnet.
  2. Falls ein anderes Regelwerk, also die II. Berechnungsverordnung, die DIN 283 oder die DIN 277 ortsüblich angewendet wird, kann die Berechnung anhand dieser Verkehrssitte erfolgen. Im Einzelfall können individuelle Berechnungsmethoden Vorrang haben.
  3. Die Berechnung der Kappungsgrenze nach § 558 Abs. 3 BGB erfolgt unter Ansatz der vertraglichen Miete.
    Sachverhalt
  • Mietbeginn (Wohnung in Berlin) im Januar 2007
  • Wohnfläche im Mietvertrag: „ca. 94,48 qm“
  • Nettokaltmiete anfangs 470 €
  • Nettokaltmiete ab August 2007 auf 423 € herabgesetzt
  • 30.01.2012: Klägerin begehrt die Zustimmung zu einer Mieterhöhung um 84,60 € (20 %) auf 507,60 € ab dem 01. April 2012
  • Mieter
    • erkennt im Rechtsstreit eine Erhöhung der Miete auf insgesamt 444,36 € an
    • macht widerklagend die Rückzahlung überzahlter Miete in Höhe von zuletzt 2.055,30 € nebst Zinsen geltend, weil
    • seiner Ansicht nach die Wohnfläche um 12,46 % geringer ist als im Mietvertrag angegeben
  • ein Sachverständiger stellt aufgrund der Wohnflächenverordnung eine Wohnfläche von 84,01 qm fest. Der straßenseitige Balkon der Wohnung wird dort mit 25 % angesetzt

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung um 63,45 € auf 486,45 € verurteilt und den Widerklageantrag abgewiesen. Dabei ist es der Wohnflächenermittlung der Sachverständigen bezüglich des Balkons nicht gefolgt. Es hat die Fläche des Balkons vielmehr zur Hälfte angerechnet, weil in Berlin der Entscheidung des LG Berlin (Grundeigentum 2011, 1086) zufolge eine entsprechende örtliche Praxis bestehe, Balkone weiterhin (wie in der II. Berechnungsverordnung) zur Hälfte anzurechnen. Deshalb betrage die Wohnflächenabweichung nicht mehr als 10 % und sei eine Mietminderung nicht gerechtfertigt.

Das Landgericht hat — nach Einholung eines weiteren Gutachtens zur Frage, ob Balkone im Jahr 2007 üblicherweise zur Hälfte angerechnet wurden — das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten lediglich zu einer Zustimmung zu einer Mieterhöhung auf 451,36 € verurteilt sowie der Widerklage in Höhe von 1.827,93 € nebst Zinsen stattgegeben.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils, (also Mietzins in Höhe von [nur noch, aber immerhin] 486,45 EUR sowie Abweisung der Widerklage).

Entscheidung
Bezüglich der Klage hat die Vermieterin den Anspruch entsprechend des Urteils des Amtsgerichts. Die Klägerin kann (mindestens, § 308 Abs. 2 ZPO) den Mietzins von 486,45 EUR verlangen. Bezüglich der Widerklage hat das Berufungsgericht aber zutreffend entschieden. Die Vermieterin muss 1.827,93 EUR zurückzahlen.

Denn:

  • Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB auf eine monatliche Nettokaltmiete von 486,45 € zu. Denn die Zustimmung zur Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete kann verlangt werden, wenn
    • die Miete in den vergangenen 15 Monaten unverändert geblieben ist,
    • sich die Miete dadurch innerhalb von 3 Jahren um nicht mehr als 20% erhöht (ausgenommen Erhöhungen nach §§ 559 und 560 BGB)
    • bzw. in den Fällen des § 558 Abs. 3 BGB sich die Miete in den letzten 3 Jahren um nicht mehr als 15% erhöht.
  • Ausgangspunkt für die Mieterhöhung („Ausgangsmiete‟) ist dabei die vertraglich vereinbarte Miete, bei späteren Änderungen nach § 557 oder § 558 BGB die zuletzt vereinbarte Miete. Mietminderungen (§ 536 Abs. 1 BGB) bleiben bei der für die Berechnung der Kappungsgrenze maßgebenden Ausgangsmiete nach allgemeiner Meinung grundsätzlich unberücksichtigt; das gilt auch für Minderungen wegen geringerer Wohnfläche.
  • Vorliegend ist danach auf die in August 2007 vereinbarte Miete von 423 EUR abzustellen.
  • Die Kappungsgrenze nach § 558 Abs. 3 BGB ist neben dem Maßstab der ortsüblichen Vergleichsmiete eine zweite, selbständig einzuhaltende Obergrenze für Mieterhöhungen nach § 558 BGB und dient dem Schutz des Mieters in wirtschaftlicher Hinsicht.
  • Dieser Schutz vor einem zu raschen Anstieg seiner Zahlungspflichten orientiert sich jedoch an der Miete, zu deren Begleichung sich der Mieter vertraglich verpflichtet hat. Diese anfängliche oder während des laufenden Mietverhältnisses vereinbarte Miete hat der Mieter durch eigene Entscheidung übernommen und für sich als wirtschaftlich tragfähig angesehen. Hieran bemisst sich sein Schutz vor einer finanziellen Überforderung im Rahmen der jeweiligen Mietsteigerung.
  • Die Größe der Wohnung (§ 558 Abs. 2 Satz 1 BGB) ist nach der tatsächlichen und nicht nach der vertraglich vereinbarten Wohnfläche zu berechnen. Somit wird an dieser Stelle den schutzwürdigen Belangen des Mieters hinreichend Rechnung getragen und im Ergebnis vermieden, dass er eine im Verhältnis zur Wohnfläche überhöhte Miete zahlt.
  • Die Vergleichsmiete beträgt vorliegend 6,48 EUR/qm.
  • Die beantragten 486,45 EUR liegen sowohl — unabhängig von der Entscheidung über den Streit der Berechnung der Wohnfläche und ob nun eine Deckelung bei 15% oder 20% vorliegt — im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete als auch innerhalb der Kappungsgrenze. Deshalb hatte der BGH hier keine weitere Feststellung zu treffen, § 308 Abs. 2 ZPO.

Bezüglich der Widerklage hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeurteilt. Denn es gilt:

  • Auch bei einer Vereinbarung der Wohnfläche mit „ca.‟-Angaben ist dieser Wert anzusetzen.
  • Weicht die tatsächliche Fläche mindestens 10% von der vereinbarten Fläche ab, liegt ein erheblicher Mangel vor, der zur Minderung berechtigt.
  • Die Wohnfläche ist vorliegend anhand der Wohnflächenverordnung zu berechnen.
    • Auch bei frei finanziertem Wohnraum ist zur Größenberechnung grundsätzlich auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Wohnflächenverordnung abzustellen.
    • Etwas anderes gilt dann, wenn die Parteien dem Begriff der Wohnfläche im Einzelfall eine abweichende Bedeutung beimessen oder ein anderer Berechnungsmodus örtlich üblich oder nach der Art der Wohnung naheliegender ist
    • Mit dem Begriff des ortsüblichen Berechnungsmodus ist eine bestehende örtliche Verkehrssitte zur Wohnflächenberechnung gemeint. Eine solche maßgebliche Verkehrssitte als eine die beteiligten Verkehrskreise untereinander verpflichtende Regel verlangt, dass sie auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung beruht, die sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums für vergleichbare Geschäftsvorfälle gebildet hat und der eine einheitliche Auffassung sämtlicher beteiligten Kreise an dem betreffenden, gegebenenfalls räumlich beschränkten Geschäftsverkehr zu Grunde liegt. Erforderlich ist somit, dass die Vorgehensweise bei Mietern und Vermietern Zustimmung gefunden hat.
    • Nicht ausreichend ist, dass ein erheblicher oder auch überwiegender Teil der Marktteilnehmer ein Regelwerk unzutreffend anwendet oder verschiedene Regelwerke miteinander vermischt. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob sich bezüglich der Berechnung einer Teilfläche eine bestimmte Übung der Mehrheit der Marktteilnehmer herausgebildet hat oder ob das zu dieser Frage eingeholte Gutachten nicht auf einer ausreichend repräsentativen Marktbefragung beruhte oder in den Fragebögen auf einen unzutreffenden Zeitraum abgestellt worden war.
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