Winterdienst mit Hobelspänen?

OLG Hamm, Urteil vom 24.11.2014 — Aktenzeichen: I-6 U 92/12

Leitsatz
Der für eine Verkehrsfläche Räum- und Streupflichtige genügt seiner Pflicht nicht dadurch, dass er die eis- und schneeglatte Fläche mit Hobelspänen bestreut. Hobelspäne entfalten keine nennenswerte abstumpfende Wirkung.

Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch und macht geltend, sie sei in N auf dem Gehweg der Q-Straße vor dem an die Beklagte zu 2) vermieteten Haus der Beklagten zu 1) gestürzt. Da die Beklagten ihrer Räum- und Streupflicht nicht hinreichend nachgekommen seien und nur Hobelspäne gestreut gehabt hätten, sei der Boden glatt gewesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hat dies damit begründet, dass die Beklagten ihrer Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen seien. Es sei gerichtsbekannt, dass zum Unfallzeitpunkt außergewöhnlich schwierige winterliche Verhältnisse geherrscht hätten sowie, dass insbesondere Tausalze aufgebraucht und nicht mehr käuflich zu erwerben gewesen seien. Im Übrigen sei gerichtsbekannt, dass auch die Verwendung von Hobelspänen zu einer abstumpfenden Wirkung führe.

Entscheidung
Dem widerspricht das OLG:

Es stellt zunächst fest, dass Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus einem anderen Grund als der eisbedingten Bodenglätte gestürzt sei, sind nicht ersichtlich wären. Für den Kausalzusammenhang zwischen Glätte und Sturz spreche somit der Beweis des ersten Anscheins.

Die Glätte im Bereich der Unfallstelle beruhe auch auf pflichtwidrigem fahrlässigem Verhalten der Beklagten. Bei den Hobelspänen, welche die Mitarbeiter der Beklagten zu 2) flächendeckend auf dem Gehweg ausgestreut hätten, handle es sich nicht um ein Streumittel mit der erforderlichen abstumpfenden Wirkung. Die gegenteilige Feststellung des Landgerichts könne der Entscheidung nicht gemäß § 529 ZPO zugrunde gelegt werden. Denn im angefochtenen Urteil sei schon nicht hinreichend dargelegt, worauf die die Eignung von Hobelspänen als Streumittel betreffende eigene Sachkunde des Landgerichts beruhe. Das OLG hat daher ein Gutachten einholen lassen. Dieses hat ergeben, dass jedenfalls Hobelspäne der vorliegenden Art keine abstumpfende Wirkung entfalten. Derartige Hobelspäne saugen sich mit Feuchtigkeit voll, so dass sie zu einer Art Eisflocken mit Rutscheffekt werden. Der somit verkehrswidrige Zustand des Gehweges im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu 2) indiziert, dass die Beklagte zu 2) die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und daher fahrlässig gehandelt hat (vgl. dazu BGH r+s 2012, 460). Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2) vorgetragen hat, ihr Geschäftsführer habe jahrelange positive Erfahrungen mit Hobelspänen als Streumittel gemacht. Denn nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M vermag dies nicht zu überzeugen, und zwar selbst dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass die Verwendung von Sägemehl pp. als Streumittel gelegentlich auch im Internet empfohlen werden mag. Die Beklagte zu 2) hätte die Eignung der von ihr verwendeten Hobelspäne leicht selbst untersuchen können.

Auch mit der Behauptung, geeignete Streumittel seien auf dem Markt nicht verfügbar gewesen, vermögen sich die Beklagten nicht mit Erfolg zu entlasten. Es sei schon nicht dargetan, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie sich vor Einbruch des Winterwetters bevorratet hätten. Dem Vortrag könne auch nicht entnommen werden, wo im Handel vor dem Unfall versucht worden sei, geeignetes Material zu beschaffen. Die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten besteht jedoch nur in einem um 50 % Mitverantwortlichkeit der Klägerin reduzierten Umfang. Dies ergibt die Abwägung gemäß § 254 BGB.

Die Klägerin müsse sich jedoch ein hälftiges Mitverschulden entgegenhalten lassen. Sie habe sich ohne Not in die erkennbare Gefahrenlage gebracht. Auf Seiten der Beklagten könne ein über leichte Fahrlässigkeit hinaus gesteigertes Verschulden nicht angenommen werden, zumal die Beklagten mit ihrer Vorstellung von der Eignung der Hobelspäne als Streumittel nicht völlig allein stünden.

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