Voraussetzungen des Anscheinsbeweises im Rahmen der Steuerberaterhaftung

OLG Oldenburg, Beschluss vom 22. Februar 2022 i. V. m. Hinweisbeschluss vom 26.01.2022 – Aktenzeichen: 14 U 120/21

Orientierungssatz
Die Annahme eines Anscheinsbeweises beratungsgerechten Verhaltens kommt nur in Betracht bei tatsächlichen Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Steuerberater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätten. Dies ist bei der Wahl der Einordnung einer Unfallversicherung als privat oder als ganz oder teilweise zum Betriebsvermögen zählend nicht der Fall.

Sachverhalt
Der Kläger begehrte von dem beklagten Steuerberater Schadensersatz wegen steuerlicher Fehlberatung.

Der Kläger war selbständiger Landwirt und schloss in den Jahren 1993 und 1994 zwei Unfallversicherungen ab, die sowohl private wie auch berufliche Risiken abdeckten. Der beklagte Steuerberater, der mit der Erstellung der Einkommensteuererklärungen des Klägers beauftragt war, verbuchte die Unfallversicherungsbeiträge zu 50 % als Betriebsausgabe. Im Jahr 2008 stürzte der Kläger vom Dach seines Stallgebäudes, welches er betreten hatte, um einerseits eine gewerbliche genutzte Solaranlage zu reinigen, und um andererseits das Stalldach abzudichten. Wegen der Buchungspraxis als hälftige Betriebsausgabe bewertete das Finanzamt die Versicherungsleistungen, die dem Kläger aufgrund des Sturzes gezahlt wurden, zu 50 % als steuerpflichtige Betriebseinnahmen.

Der Kläger hat behauptet, er sei über die Buchungspraxis und die steuerlichen Folgen nicht informiert worden. Hätte der Steuerberater ihn darüber aufgeklärt, dass die Buchung der Versicherungsbeiträge als Betriebsausgabe den Nachteil einer Steuerpflicht einer Versicherungsleistung hätte, hätte er dieser Buchungspraxis nicht zugestimmt.

Der beklagte Steuerberater hat die Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung für den Schaden bestritten und die Auffassung vertreten, auch eine anderweitige Buchung der Versicherungsbeiträge hätte nicht zur Steuerfreiheit der Versicherungsleistung geführt.

Das Landgericht Osnabrück hat die Klage abgewiesen. Zwar liege eine Pflichtverletzung vor, da der Steuerberater den Kläger nicht über die möglichen nachteiligen Folgen aufgeklärt habe, die mit einer Buchung der Versicherungsbeiträge als Betriebsausgabe einhergingen. Der Kläger habe aber nicht den Beweis für die Ursächlichkeit dieser Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden erbracht; die Grundsätze des Anscheinsbeweises seien nicht anwendbar.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Entscheidung
Mit Hinweisbeschluss vom 26.01.2022 hat das OLG Oldenburg darauf hingewiesen zu beabsichtigen, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 22.02.2022 hat das OLG Oldenburg sodann die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die von dem Kläger im Nachgang eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ist von diesem zurückgewiesen worden.

Das OLG Oldenburg hat in den vorgenannten Beschlüssen das Urteil des Landgerichts Osnabrück bestätigt. Zutreffend habe das Landgericht einen Anscheinsbeweis der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden verneint. Die Annahme eines Anscheinsbeweises beratungsgerechten Verhaltens komme nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur in Betracht bei tatsächlichen Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegt hätten. Für die Frage, wie der Kläger sich bei zutreffender Aufklärung über die steuerlichen Folgen der Buchung der hälftigen Versicherungsprämien als Betriebsausgabe entschieden hätte, komme es auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung an, die weit vor dem Unfallereignis gelegen habe. Für die Frage, ob sich dem Kläger bei der hypothetischen Aufklärung vor Ausübung der Wahl nur eine einzige vernünftige Entscheidung zur Einordnung der Versicherung als privat oder als ganz oder teilweise zum Betriebsvermögen zählend geboten hätte, sei daher die ex ante Sicht vor dem Unfallereignis entscheidend. Zu diesem Zeitpunkt sei der künftig zu erwartende steuerliche Vorteil, der mit der Buchung der hälftigen Versicherungsprämie als Betriebsausgabe einhergehen würde, gegen den Nachteil der Steuerbarkeit eines der Höhe nach unbekannten Auszahlungsbetrages im (unwahrscheinlichen) Versicherungsfall abzuwägen. Eine solche Entscheidung hänge von zahlreichen, zum Teil höchst individuellen Einstellungen und Eigenschaften, wie Risikofreude oder Risikoscheu und individuellen Wahrscheinlichkeitseinschätzungen hinsichtlich des Eintritts und der Schwere eines etwaigen Versicherungsfalls ab, so dass sie einem Anscheinsbeweis nicht zugänglich sei. Das gelte auch für die Wahl weiterer Abwägungskriterien und ihrer Gewichtung, etwa die Frage, ob ein vom Landwirt vorgenommener Vergleich der Steuerersparnis ohne Eintritt des Versicherungsfalles mit der Höhe der Versicherungsprämie als entscheidungsrelevant erachtet werde.

Ergänzend hat das OLG Oldenburg ausgeführt, dass der Sturz eines Landwirtes von einem Stallgebäude, das er betreten hat, um einerseits eine gewerblich genutzte Solaranlage zu reinigen und um andererseits das Stalldach abzudichten, nicht privaten, sondern betrieblichen Risiken zuzuordnen sei. Jedenfalls sei die vom Finanzamt vorgenommene nur hälftige Zuordnung der Versicherungsleistungen zum betrieblichen Risiko nicht zu beanstanden.

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