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§ 116 SGBX: Anspruchsübergang bei Vorleistungspflicht eines SVT

BGH, Urteil vom 17.09.2019, Az.: VI ZR 437/18

 

Leitsatz

  1. Für die Frage, auf wen ein Schadensersatzanspruch gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangen ist, kommt es darauf an, wer im Außenverhältnis zur Erbringung der jeweiligen Sozial- oder Beitragsleistung gesetzlich verpflichtet ist, nicht aber darauf, ob Ausgleichs- oder Erstattungsansprüche im Innenverhältnis bestehen.
  2. Wenn von mehreren in Betracht kommenden Sozialleistungsträgern (hier: Bundesanstalt für Arbeit und DRV) nur einer (hier: Bundesanstalt für Arbeit) im Außenverhältnis (hier: gegenüber dem Kranken- und dem Pflegeversicherer) beitragsleistungspflichtig ist, ist also dieser allein als Rechtsnachfolger des Geschädigten gegenüber dem Schädiger anspruchsberechtigt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er nach den einschlägigen Ausgleichsbestimmungen im Innenverhältnis ebenfalls Ersatz für seine Aufwendungen verlangen könnte.

 

Sachverhalt

Die klagende Bundesagentur für Arbeit nimmt als Trägerin der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall aus gemäß § 116 Abs. 1, Abs. 10 SGB X übergegangenem Recht auf Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Anspruch.

Der bei der Klägerin versicherte Geschädigte wurde bei einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte dem Grunde nach voll schadensersatzpflichtig ist, schwer verletzt. Nach dem Unfall bezog die Geschädigte zunächst Krankengeld. Anschließend erhielt sie von der Klägerin Arbeitslosengeld I-Leistungen. Daneben führte die Klägerin Krankenversicherungsbeiträge, Pflegeversicherungsbeiträge und Rentenversicherungsbeiträge ab. Mit Bescheid vom 23. September 2013 gewährte die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) der Geschädigten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem 1. Dezember 2011. Die Klägerin hob daraufhin den Bewilligungsbescheid über das Arbeitslosengeld gegenüber der Geschädigten auf. Von der DRV erhielt die Klägerin für den Zeitraum vom 5. Mai 2012 bis 8. September 2013 die an die Geschädigte direkt geleisteten Arbeitslosengeld I-Leistungen in vollem Umfang sowie von den Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung teilweise erstattet. Die Beklagte ersetzte der Klägerin die Beiträge zur Rentenversicherung vollumfänglich, nicht aber die ebenfalls eingeforderten Restbeträge an Krankenversicherungsbeiträgen und Pflegeversicherungsbeiträgen. Mit der Klage hat die Klägerin den auf diese beiden Positionen entfallenden Gesamtbetrag geltend gemacht.

Nach Ansicht der Vorinstanzen war die Klage abzuweisen, weil die Klägerin nicht gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 10 SGB X aktivlegitimiert gewesen sei.

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte jedoch Erfolg:

Die Klägerin hatte bis zum Bescheid der DRV vom 23. September 2013, mit dem die volle Erwerbsminderung der Klägerin festgestellt wurde, aufgrund der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III Arbeitslosengeld I-Leistungen und damit eine Sozialleistung im Sinne von § 116 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X zu erbringen. § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III gewährt demjenigen einen Anspruch auf eine „Sonderform‟ des Arbeitslosengeldes, der wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht objektiv verfügbar im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III und damit nicht gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III arbeitslos ist, dessen verminderte Erwerbsfähigkeit aber (noch) nicht durch den hierfür zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III) festgestellt ist. Zweck der Nahtlosigkeitsregelung ist es in erster Linie, negative Kompetenzkonflikte zu Lasten des Versicherten zu vermeiden: Es soll unterschiedlichen Beurteilungen der Erwerbsfähigkeit durch Arbeitslosen- und Rentenversicherung und damit der Gefahr entgegengewirkt werden, dass tatsächlich kein Versicherungsschutz gewährt wird, obwohl gegen eine der Versicherungen ein Anspruch besteht Den Arbeitslosenversicherer trifft somit eine Vorleistungspflicht bis zur Entscheidung des Rentenversicherers über den Eintritt des Versicherungsfalls der verminderten Erwerbsfähigkeit. Diese Vorleistungspflicht traf vorliegend die Klägerin.

Für die Frage, auf wen ein Schadensersatzanspruch gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangen ist, kommt es nach dem BGH nun allein darauf an, wer im Außenverhältnis zur Erbringung der jeweiligen Sozial- oder Beitragsleistung gesetzlich verpflichtet ist, nicht aber darauf, ob Ausgleichs- oder Erstattungsansprüche im Innenverhältnis bestehen.

Vorliegend traf, bedingt durch den Unfall, die Klägerin die Pflicht, von dem Arbeitslosengeld, das sie als Sozialleistung im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu erbringen hatte, Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung zu zahlen. Die Versicherungspflicht tritt allein aufgrund des tatsächlichen Bezugs von Arbeitslosengeld ein, ohne Rücksicht darauf, ob die Voraussetzungen für diesen Leistungsbezug vorgelegen haben. Dementsprechend bleibt nach den genannten Regelungen die Versicherungspflicht (selbst) dann bestehen, wenn die Entscheidung, die zum Bezug des Arbeitslosengeldes geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder das Arbeitslosengeld zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist (BSG, NZS 2014, 458 Rn. 23).

Dem Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Innenverhältnis zur DRV als gesetzlichem Rentenversicherer gemäß § 335 Abs. 2 Sätze 1, 2, Abs. 5 SGB III einen Anspruch auf Erstattung der Beiträge hat, weil ihr gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 SGB III auch ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des Arbeitslosengeldes zusteht. Wenn – wie hier – von mehreren in Betracht kommenden Sozialleistungsträgern (hier: Bundesanstalt für Arbeit und DRV) nur einer (hier: Bundesanstalt für Arbeit) im Außenverhältnis (hier: gegenüber dem Kranken- und dem Pflegeversicherer) beitragsleistungspflichtig ist, ist also dieser allein als Rechtsnachfolger des Geschädigten gegenüber dem Schädiger anspruchsberechtigt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er nach den einschlägigen Ausgleichsbestimmungen im Innenverhältnis ebenfalls Ersatz für seine Aufwendungen verlangen könnte.

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