Schadensersatzanspruch gem. §§ 823 II BGB i.V.m. 32 KWG scheidet aus bei unvermeidbarem Verbotsirrtum des Schädigers
BGH, Urteil vom 27.6.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 424/16
Leitsatz
1. Hält der Täter des § 54 KWG seine Geschäfte für rechtlich zulässig und nicht erlaubnispflichtig, so unterliegt er aus strafrechtlicher Sicht einem Verbotsirrtum im Sinne des § 17 I StGB. Ist dieser unvermeidbar, so scheidet eine Haftung nach § 823 II BGB aus. 2. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Täters bei der zuständigen Aufsichtsbehörde dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheidet seine Haftung nach § 823 II BGB in Verbindung mit dem betreffenden Strafgesetz in Folge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Täter eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage. Der Beklagte war Mitglied des Verwaltungsrats der S-AG, die von Kunden Kapitallebensversicherungen ankaufte, die Policen über Treuhänder kündigen ließ und die von den Versicherern in der Folge ausgezahlten Gelder vereinnahmte. Im Gegenzug verpflichtete sie sich den Kunden gegenüber zu Zahlungen, die über den bei Kündigung durch die Kunden selbst zu zahlenden Rückkaufswerten liegen, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollten. Über eine Erlaubnis nach § 32 KWG verfügte die S-AG nicht. Bei der Entwicklung des Geschäftsmodells hatte die S-AG anwaltlichen Rat eingeholt mit dem Ergebnis, dass keine Genehmigung erforderlich sei. In den Jahren 2009/2010 schloss die Klägerin mit der Beklagten unter Mittlung eines Treuhänders entsprechende Geschäfte. Die BaFin vertrat im Jahr 2011 die Auffassung, dass das zwischen den Parteien abgeschlossene Geschäft kein Einlagengeschäft i.S.d. § 1 I 2 Nr. 1 KWG darstellte. Im Jahr 2012 vertrat die BaFin die gegenteilige Auffassung. Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche aus §§ 823 II BGB i.V.m. § 32 KWG geltend. Die Klage hatte in allen drei Instanzen keinen Erfolg.
Entscheidung
Nach der Entscheidung des BGH scheidet ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 32 Abs. 1,54 KWG, schon deshalb aus, da sich der Beklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe. Wenn der Täter des § 54 KWG seine Geschäfte für rechtlich zulässig und nicht erlaubnispflichtig hält, so unterliegt er nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aus strafrechtlicher Sicht einem Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB. Ein solcher Verbotsirrtum führt gemäß § 17 Satz 1 StGB zur Schuldlosigkeit, wenn er unvermeidbar war. Zivilrechtlich scheidet in einem solchen Fall eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus. Dabei hat der BGH offen gelassen, ob das durchgeführte Geschäft überhaupt einer Erlaubnis bedurft hätte. Denn selbst wenn, hätte sich der Beklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gefunden. Dabei musste der BGH nicht entscheiden, ob sich der Beklagte auf die eingeholte anwaltliche Auskunft habe verlassen dürfen. Allerdings hat der BGH insoweit ausgeführt, dass das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen vermöge. Wende sich der Kläger an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so habe er damit zwar in der Regel das zunächst Gebotene getan. Jedoch sei weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen habe vertrauen dürfen. Dies sei nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar sei oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben könne, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Ein zur Absicherung bestelltes „Gefälligkeitsgutachten“ scheide als Grundlage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft seien oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollten, könnten den Kläger ebenfalls nicht entlasten. Bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen sei regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen. Auf all das kam es vorliegend jedoch nicht an, da die eingeholte rechtsanwaltliche Auskunft mit der (damaligen) Auffassung der BaFin übereinstimmte. Insoweit sei zu prüfen, ob eine – unterbliebene – Erkundigung, wäre sie erfolgt, zu einer richtigen Auskunft geführt hätte. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Täters dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheidet, so der BGH, eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. dem betreffenden Strafgesetzbuch infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Täter eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Da die BaFin im Jahr 2011 die Auffassung vertrat, das durchgeführte Geschäft sei nicht erlaubnispflichtig, hat der BGH eine Haftung des Beklagten im vorliegenden Fall verneint.