Pflichten eines Rechtsanwaltes bei nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen
BGH, Urteil vom 17.3.2016 — Aktenzeichen: IX ZR 142/14
Sachverhalt
Der vorliegend beklagte Rechtsanwalt sollte für den Kläger ein Versäumnisurteil durchsetzen. Der Beklagte ließ einen Gesellschaftsanteil des Schuldners an einer GbR über eine Eigentumswohnung pfänden, kündigte den Gesellschaftvertrag – insgesamt zwei Gesellschafter — und beantragte die Teilungsversteigerung. Der weitere Gesellschafter trat seinen Gesellschaftsanteil an den Schuldner ab und dieser wurde Alleingesellschafter, was zu einer Beendigung der Gesellschaft führte. In der Folgezeit wurde eine Grundschuld für die streitbefangene Eigentumswohnung zugunsten einer Bank eingetragen. Die Bank beantragte die Zwangsversteigerung der Wohnung und erhielt den Versteigerungserlöses. Der Beklagte empfahl, einen Anspruch auf Auskehr des Versteigerungserlöses gegenüber der Bank geltend zu machen. Das Verfahren verlief für den Kläger erfolglos. Der Kläger wirft dem Beklagten vor, den Betrag nicht hinreichend gesichert zu haben, z.B. durch Fortsetzung der Teilungsversteigerung, und begehrt Schadensersatz. Das LG Stade hat die die Klage zunächst abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. In der Revisionsinstanz wurde nun das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
Entscheidung
Eine Pflichtverletzung des Beklagten Anwalts konnte der BGH nicht feststellen. Der Beklagte war nach Auffassung des BGH und entgegen der Auffassung des OLG nicht verpflichtet, den Kläger auf einen nach Ansicht des Berufungsgerichts aus einer analogen Anwendung des § 888 Abs. 2 BGB folgenden Anspruch auf Wiedereintragung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Eigentümerin der Wohnung hinzuweisen, diesen Anspruch für ihn durchzusetzen und sodann die Teilungsversteigerung fortzuführen. Den Anwalt treffe im Rahmen seines Mandatsverhältnisses zwar die Pflicht zur umfassenden Belehrung und auftragsgerechten Erledigung, sodass Nachteile für den Mandanten möglichst vermieden werden. Sollte es in einem Fall keine höchstrichterliche Rechtsprechung geben, so kann der Rechtsanwalt den Sachverhalt durch geeignete Auslegung und Recherche erfassen. Ungewöhnliche Fallgestaltungen, die weder Gegenstand einer höchstrichterlichen oder instanzgerichtlichen Entscheidung waren noch in einem der gängigen Kommentare oder Lehrbüchern behandelt wurden, hat er auf der Grundlage eigener, juristisch begründeter Überlegungen zu bearbeiten. Vorliegend war allen Lösungsmöglichkeiten zur Sicherung der Ansprüche des Klägers gemein, dass diese einen Fortbestand des Pfandrechtes an den Gesellschaftsanteilen voraussetzten. Um zu einem Fortbestand des Pfandrechtes zu kommen, hätte es sich um Rechtsfortbildung gehandelt, die nicht unmittelbar aus dem Gesetz folgte und die bisher nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung war; auch einschlägige instanzgerichtliche Rechtsprechung oder Literatur, die zu den gebräuchlichen Erläuterungsbüchern gehört und deshalb gegebenenfalls einzusehen gewesen wäre, hatte der Kläger nicht nachgewiesen. Angesichts dessen gereicht es dem Beklagten nicht zum Verschulden, dass er sich nicht für die vom Berufungsgericht allein für richtig gehaltene Maßnahme — die Durchsetzung des Anspruchs aus § 888 Abs. 2 BGB analog und die Fortsetzung der Teilungsversteigerung — entschieden hat.
Für einen Anwalt bedeutet das Urteil im Kern, dass er bei Rechtsfragen, die noch nicht geklärt sind, durchaus einen vertretbaren Weg empfehlen kann, ohne sich gleich schadensersatzpflichtig zu machen, auch wenn sich der Weg später als nicht erfolgreich heraus stellt. Erforderlich ist allerdings die Prüfung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung so wie ein fundierter und begründeter Vorschlag zur Vorgehensweise.