Mindermengenausgleich auch ohne VOB/B?

Zuerst erschienen in: TAB – Das Fachmedium der TGA-Branche, Ausgabe 10/2024

 

Entscheidung: OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.04.2024 – 23 U 86/23

 

Problemdarstellung:

Die VOB/B stellt eine sowohl für die Auftragnehmer- als auch für die Auftraggeberseite austarierte Regelungssystematik bereit, wonach etwa die Ausführung von Mehr- oder Mindermengen in Abweichung zu den Vertragsvereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Preisanpassung auslöst. Dahinter steht der Gedanke, das ursprünglich kalkulierte bzw. vereinbarte Äquivalenzinteresse des Vertrages, also die Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen, zu erhalten. Zahlt etwa der Auftragnehmer bei der Bestellung größerer Materialkontingente einen niedrigeren Einheitspreis („Mengenrabatt“) an seinen Lieferanten, erhöht sich damit naturgemäß seine Gewinnmarge gegenüber dem Auftraggeber. Genau dies verhindert die Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, wonach ein Anspruch auf Preisanpassung dahingehend besteht, dass hinsichtlich der über 10 % des ursprünglichen Mengenansatzes hinausgehenden Mengen derjenige Preis zu bilden ist, den die Parteien vereinbart hätten, wenn die Mehrmengen von Anfang an bekannt gewesen wären.

Die Problematik stellt sich spiegelbildlich bei der Ausführung von Mindermengen in Abweichung zu den ursprünglichen Vertragsvereinbarungen.

Angesichts dieser gänzlich plausiblen Erwägungen ist daher fraglich, ob ein Mehr-/Mindermengenausgleich nicht auch im BGB-Vertrag beansprucht werden kann, womit sich das Oberlandesgericht Frankfurt in einem aktuellen Berufungsrechtsstreit auseinandersetzt.

 

Sachverhalt:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Mehrvergütung infolge verminderter Entsorgungsmengen von pechhaltigem Straßenaufbruch, den die Beklagte der Klägerin geliefert hat.

Die beklagtenseitige Ausschreibung sah in sechs Losen die Entsorgung von diesem Material auf Einheitspreisbasis pro Tonne und mit konkreten Mengenangaben vor. Die VOB war nicht vereinbart. Bei der späteren Vertragsdurchführung fiel unstreitig eine Mindermenge in Abweichung zur Ausschreibung von 28.642,24 t an, was einer Mindermengenquote von 14,2% entspricht.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr auch im BGB-Vertrag zumindest nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein weiterer Vergütungsanspruch zustehe, weil sie infolge der Mengenreduktion weniger Gewinn im Verhältnis zu den erbrachten Leistungen im Vergleich mit dem ursprünglichen Auftrag erwirtschaften konnte.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Mengenunterschreitung zumutbar sei und die Klägerin Mengenschwankungen auch habe erwarten müssen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt.

 

Entscheidung:

Mit Beschluss vom 29.04.204 hat das Oberlandesgericht Frankfurt den Mehrvergütungsanspruch verneint und darauf hingewiesen, dass es eine Zurückweisung der klägerischen Berufung im Beschlusswege beabsichtige. Die Klägerin hat daraufhin ihre aussichtslose Berufung zurückgenommen.

Zur Begründung führt das Oberlandesgericht aus, dass die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien nichts hergäben für eine Preisanpassung infolge von Mehr- oder Mindermengen. Auch nach dem Gesetz stehe der Klägerin in Ermangelung einer mit § 2 Abs. 3 VOB/B vergleichbaren Regelung kein Anspruch zu.

Daher verbleibe lediglich die Möglichkeit eines Anspruchs über die Grundsätze einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB. Nach dieser Vorschrift, die im BGB-Vertrag gilt, kann ein Anspruch auf Preisanpassung bestehen, wenn die Vertragsparteien den Vertrag nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten bei Kenntnis von den in Rede stehenden Mehr- oder Mindermengen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Zudem müsste Hinnahme der Mehr- oder Mindermengen unzumutbar sein. Schließlich besteht der Anspruch nur für eine schutzbedürftige Vertragspartei, was etwa dann nicht der Fall ist, wenn derjenige, der den Anspruch geltend macht, die den Anspruch begründenden Umstände bereits im Vorfeld hätte erkennen können.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt lägen diese Voraussetzungen hier nicht vor. So sei bereits die gegebene Mengenabweichung von lediglich 14,2% unter Berücksichtigung der insgesamt ausgeschriebenen Mengen für alle Lose für die Klägerin nicht unzumutbar. Die Klägerin sei ferner nicht schutzbedürftig, weil sie schon aufgrund ihrer Berufserfahrung damit habe rechnen müssen, dass die im Leistungsverzeichnis ausgeschriebenen Mengen im Bereich der thermischen Behandlung von teerhaltigem Asphalt nur geschätzt sein konnten und – abhängig vom Zustand des Entsorgungsmaterials – ein unterschiedlicher Entsorgungsaufwand anfallen und deshalb die konkrete Menge im Vorfeld nicht bestimmbar sein würde. Feste Mengenvorgaben im Leistungsverzeichnis seien auch deswegen nicht anzunehmen gewesen, weil in der Ausführungsbeschreibung ausdrücklich vorbehalten war, das Aufbruchmaterial je nach anfallender Menge auch anderen Unternehmen zu liefern. Im Ergebnis sei daher nicht davon auszugehen, dass die Klägerin den Vertrag (redlicherweise) nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätte bei Verinnerlichung des Umstandes, dass Mehrmengen von 28.642,24 t anfallen würden.

 

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