Keine Aussetzung nach § 108 SGB VII
OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.12.2015 — Aktenzeichen: 12 W 52/15
Wann ist das gerichtliche Verfahren nach § 108 SGB VII auszusetzen?
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt als gesetzliche Unfallversicherung den Beklagten nach § 110 SGB VII auf Ersatz ihrer Aufwendungen anlässlich eines Arbeitsunfalls des Mitarbeiters des Beklagten in Anspruch. Der Beklagte „verteidigte“ sich (überraschenderweise) damit, es gelte gar nicht das ihn begünstigende Haftungsprivileg des § 104 SGB VII; da er im Verfahren des Geschädigten über die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall nach dem SGB X nicht beteiligt worden sei, verlange er nun Aussetzung des Verfahrens nach § 108 SGB VII, um dies zu klären.
Entscheidung
Das Landgericht Frankfurt setzte das Verfahren aus, um den Parteien Gelegenheit zu geben, das Verwaltungsverfahren in Bezug auf den nicht beteiligten Beklagten nachzuholen. Das Oberlandesgericht hob diesen Aussetzungsbeschluss auf, es sah keinen Aussetzungsgrund. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Aussetzung nach § 108 SGB VII nicht veranlasst sei, wenn über Aufwendungsersatzansprüche nach § 110 SGB VII zu entscheiden sei. Der Anspruch nach § 110 SGB VII betreffe nämlich nicht das Verhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger, das zum Schutz der Versicherten für die Haftungsbeschränkung nur einheitlich zu beurteilen sei, sondern allein das Verhältnis zwischen dem Unfallversicherungsträger und dem Schädiger; den Belangen des Schädigers genüge es aber, wenn im Falle von dessen Nichtbeteiligung das Gericht an die Entscheidung des der Unfallversicherung nicht gebunden sei; dies sei hier der Fall. Dies entspreche der allgemeinen Regelung der Bindungs- und Rechtskraftwirkung nur inter partes und beeinträchtige die zu schützenden Interessen des Geschädigten nicht, weil die Anerkennung ihm gegenüber unangetastet bleibe; damit sei keine Verfahrensaussetzung notwendig. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Anmerkung
Über die Absicht des Schädigers = Beklagten, hier eine Aussetzung zu erreichen, kann man vordergründig nur den Kopf schütteln. Die Klägerin hat zugunsten des Beklagten ein Haftungsprivileg angenommen, so dass der Beklagte nur haftet, wenn er grob fahrlässig handelt. Bei genauer Betrachtung kann sich dies dem Schädiger durchaus als nachteilig erweisen, wenn nämlich grobe Fahrlässigkeit gegeben ist; dann haftet der Schädiger auf sämtliche (auch nicht kongruente) Aufwendungen der Unfallversicherung bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadens; dabei kann die Unfallversicherung sogar auf das fiktive Schmerzensgeld und sonstige nicht kongruente Schadenspositionen zurückgreifen. Es sind daher Konstellationen denkbar, dass es sich für den Schädiger günstiger erweist, wenn man gegen ihn nach § 116 SGB X vorgeht. Deshalb hätte man durchaus die Frage diskutieren können, ob eine Aussetzung auch in solchen Fällen denkbar ist, wenn es dem Schädiger eigentlich darum geht, das (grundsätzlich zu seinen Gunsten wirkende) Haftungsprivileg zu Fall zu bringen. Mit diesen Überlegungen befasst sich das OLG indes nicht, sondern stützt sich auf eine nur „Inter-Partes-Wirkung“. Dies überzeugt so nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH bindet eine Entscheidung der Unfallversicherung den Schädiger nach § 108 SGB VII nicht, wenn der Schädiger am Verfahren nicht beteiligt war; dann soll das Verfahren unter Beteiligung des Schädigers „nachgeholt“ werden. Im vorliegenden Fall war der Beklagte an dem Verfahren der Unfallversicherung über die Anerkennung als Arbeitsunfall des verletzten Versicherten nicht beteiligt. Die Entscheidung bindet ihn also nicht. Dies sieht auch das OLG so, bleibt aber bei dieser Feststellung stehen, ohne nachvollziehbar darzulegen, wieso nun eine Aussetzung nicht erfolgen soll.
Ein anerkennenswertes Interesse an einer Aussetzung ist nach unserer Einschätzung dann denkbar, wenn der Schädiger das Ziel hat, den Arbeitsunfall eines Geschädigten seinem Betrieb zuzuordnen, um so in der Folge in den Genuss des Haftungsprivilegs zu kommen. Das Ziel, einen Arbeitsunfall gerade nicht seinem Betrieb zuzuordnen, dürfte demgegenüber nicht schützenswert sein. Darauf zielt ja auch nicht das Sozialverwaltungsverfahren. Ein beklagter Schädiger müsste also den Antrag stellen (dürfen), dass ein Arbeitsunfall einem Drittbetrieb zuzuordnen ist (begünstigender Verwaltungsakt zugunsten eines Dritten) oder der Verletzte überhaupt keinen Arbeitsunfall in seinem Betrieb erlitten hat (belastender Verwaltungsakt zu Lasten des Geschädigten). Dies sieht aber das SGB X nicht vor. Und darin zeigt sich das ganze Dilemma der Aussetzungsrechtsprechung des BGH. Als öffentliche Verwaltung ist ein Unfallversicherungsträger an Gesetz und Recht gebunden. Es darf nur dann ein Verfahren, welches ja stets auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist, eingeleitet werden, wenn das Sozialrecht dies ausdrücklich vorsieht (Gesetzesvorbehalt). Was also soll ein nachzuholendes Verwaltungsverfahren? Ein solches kann schlechterdings nicht dazu führen, dass einem Geschädigten, dessen Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wurde (mit der Folge, dass der Geschädigte Leistungen der Unfallversicherung bezieht), die Leistung im Nachhinein wieder entzogen wird. Man soll also ein Verfahren führen, nur um die fehlende Beteiligung des Schädigers nachzuholen; eine Ermächtigung für ein solches Vorgehen findet man im SGB X oder im SGB VII nicht. Deshalb müsste der Unfallversicherungsträger einen entsprechenden Antrag des Schädigers als nicht statthaft zurückweisen.