Haftet ein Kanalbauunternehmer für Rückstauschäden bei Straßenanliegern?

Problemdarstellung

Führt ein Unternehmer im hoheitlichen Auftrag Kanalsanierungsarbeiten aus, erledigt er damit in der Regel eine Amtspflicht, unabhängig davon, ob er haftungsrechtlich als sog. Verwaltungshelfer der Stadt bzw. der beauftragenden Körperschaft anzusehen ist. Faktisch unterliegt er damit einer Amtshaftung, für die im Zusammenhang mit Rückstauschäden zivilrechtliche Besonderheiten  gelten. Hintergrund ist Folgender: Die Pflicht zur Vorhaltung eines ausreichend dimensionierten Kanalisationssystems gehört zu den drittgerichteten Amtspflichten der Stadt bzw. der den Kanal betreibenden Körperschaft. Der Staat ist also für eine funktionsfähige Kanalisation verantwortlich und auch haftbar. Mit dem Argument, dass viele Kanalisationsleitungen aber bereits in die Jahre gekommen sind, hat die Rechtsprechung – ob dieser Weg von der Rechtsordnung so vorgesehen ist, sei einmal dahingestellt – die Haftung der Gemeinden jedenfalls für solche Rückstauschäden verneint, die sich durch den Einbau einer Rückstausicherung hätten verhindern lassen und der betroffene Anlieger aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Einbau einer Rückstausicherung verpflichtet ist. Sinn und Zweck dieser Rechtsprechung ist es, die Gemeinden davor zu bewahren, in Ansehung drohender Haftungsfälle das gesamte Kanalnetz sanieren zu müssen.

Bislang ungeklärt war aber die Frage, ob ein Schadensersatz nach dieser Rechtsprechung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Unterdimensionierung oder Verengung des Kanalisationssystems nicht auf die historische Bauweise, sondern auf Ausführungsfehler des Kanalbauunternehmers zurückzuführen ist. Mit diesem Problem befasste sich der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 19.11.2020 – Az. III ZR 134/19.

 

Sachverhalt

Dort hat die Klägerin die Feststellung der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz für den in ihrem Keller entstandenen Wasserschaden begehrt. Der Keller des Gebäudes liegt zwei Meter unterhalb der Rückstauebene, eine Rückstausicherung ist trotz entsprechender Vorschrift in der zum Errichtungszeitpunkt und auch weiterhin gültigen Gemeindesatzung nicht vorhanden.

Im Jahr 2014 beauftragte der Beklagte zu 2) als zuständiger Wasserwirtschaftsverband die Beklagte zu 1) mit erforderlichen Kanalsanierungsarbeiten. Im Zuge der Ausführung verengten die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) den unterirdischen Mischwasserkanal provisorisch von 50cm auf 20cm, was nicht den Fachregeln entspricht. Als es während der Bauphase es zu starken Regenfällen kam, ereignete sich ein Rückstau in der Abwasserleitung, wodurch der Keller des klägerischen Gebäudes überflutet wurde. Nach ihren Angaben sei dabei ein Schaden von ca. 30.000,00 € entstanden.

Die Klägerin hat vor Gericht die Ansicht vertreten, ein Haftungsausschluss der Beklagten wegen der fehlenden Rückstausicherung komme vorliegend nicht in Betracht. Zunächst sei ein nachträglicher Einbau der Rückstausicherung der Klägerin schon aus Kostengründen nicht zumutbar. Tatsächlich wären die erforderlichen Umbaumaßnahmen verhältnismäßig aufwendig gewesen, was mit der besonderen Bauweise und Entwässerung des Gebäudes zusammenhängt. Davon abgesehen hätte die Rückstausicherung den Schaden auch nicht vermeiden können und schließlich komme der Haftungsausschluss gegenüber den Beklagten auch deswegen nicht in Betracht, weil es sich vorliegend nicht um eine konstruktionsbedingte Unterdimensionierung des Kanalsystems handele, sondern sich gerade ein Ausführungsfehler, also eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) verwirklicht habe, für die sie nach zivilrechtlichen Grundsätzen auch hafte.

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht hat die Klage abgewiesen, dies jedoch in Übergehung der zentralen Rechtsfrage . Die klägerseits hiergegen durchgeführte Berufung blieb erfolglos, wobei das Oberlandesgericht Hamm den Haftungsausschluss auch für Ausführungsfehler angenommen hat. Da diese Frage zwischen verschiedenen Oberlandesgerichten in Deutschland umstrittenen ist, hat das Gericht die Revision zugelassen.

 

Entscheidung

In letzter Instanz hat der Bundesgerichtshof unter Zurückweisung der klägerischen Revision die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung stünden der Klägerin unabhängig von einer Pflichtverletzung der Beklagten keine Ansprüche zu, weil der Wasserschaden nicht vom Schutzzweck der Pflicht zur Vorhaltung einer funktionierenden und ausreichend dimensionierten Kanalisation erfasst sei. So sei ein Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden zu verneinen vor dem Hintergrund, dass jeder Grundstückseigentümer in der betroffenen Stadt dazu verpflichtet sei, sich vor Abwasserrückstauungen bis zur Rückstauebene zu schützen. Beruhe ein Schaden – wie hier – auf einer fehlenden Rückstausicherung, so hafte weder der Hoheitsträger noch der von ihm beauftragte Bauunternehmer. Die Zumutbarkeit des Einbaus einer Rückstausicherung sei jedenfalls dann unerheblich, wenn der Bauherr – wie hier – bei der Errichtung eines Objekts bewusst das Risiko eines Schadens eingegangen ist. Kanalbetreiber und von diesem beauftragte Tiefbauunternehmer dürften sich auch darauf verlassen, dass die Anschlussnehmer ihren Sicherungspflichten aus der Satzung nachkommen. Die Klägerin hingegen habe nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen dürfen, vor Rückstauschäden bewahrt zu bleiben, die durch die üblichen Sicherungsvorrichtungen hätten verhindert werden können.  Ob der Rückstau durch eine nicht ausreichend dimensionierte Kanalisation oder auf eine zu starke Verengung aufgrund der Arbeiten an der Kanalisation entstanden ist, sei unerheblich. Schließlich komme es auch nicht darauf an, ob die Beklagte zu 1) als Verwaltungshelferin anzusehen sei und damit dem Haftungsregime einer Amtshaftung unterliege oder nicht, weil sie jedenfalls durch Ausführung der Kanalsanierungsmaßnahmen faktisch eine Amtspflicht erledigt habe, sodass die Grundsätze aus der Amtshaftung auch ihr gegenüber zu beachten seien.

Rechtlich handelt es sich bei dieser Entscheidung allerdings um einen speziell im öffentlichen Kanalsanierungsgeschäft angesiedelten Exoten und ist auf keinen Fall übertragbar. Im Grundsatz also haftet auch weiterhin der im städtischen Auftrag tätige Unternehmer oder, soweit die Haftung übergegangen ist, der Hoheitsträger für Schäden an Rechtsgütern Dritter. Dies ist auch grundsätzlich zu begrüßen, denn potentielle „Dritte‟ sind wir alle.

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