Gemeinsame Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3, 3. Alt SGB VII
BGH, Urteil vom 22.1.1013 — Aktenzeichen: VI ZR 175/11
Leitsatz
Eine gemeinsame Betriebsstätte ist nicht gegeben, wenn die Tätigkeiten der Unfallbeteiligten in der konkreten Unfallsituation nicht miteinander verbunden sind.
Sachverhalt
Die Klägerin macht als Berufsgenossenschaft und zuständiger Unfallversicherer für das Unternehmen G. Bau GmbH & Co. KG Schadensersatzansprüche aus einem Unfall des bei ihr versicherten und bei dem vorgenannten Unternehmen beschäftigten Geschädigten geltend. Die G. Bau GmbH & Co. KG war damit beauftragt, Straßenbauarbeiten auf einer Baustelle am Ende der Straße „Zum Sand“ durchzuführen. Der Geschädigte führte am Unfalltag Teer- und Asphaltierarbeiten durch. Der Beklagte zu 2 ist bei der Beklagten zu 1 beschäftigt. Er hatte den Auftrag, benötigtes Füllgut mit einem bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten Lkw anzuliefern, dessen Halterin die Beklagte zu 1 war. Der Beklagte zu 2 fuhr mit dem mit Bitumen und Teer beladenen Lkw rückwärts in die Straße „Zum Sand“ ein. Das Ladegut sollte auf der am Ende der Straße gelegenen Baustelle abgeliefert werden. Dazu setzte der Beklagte zu 2 mehrere hundert Meter auf der schmalen Straße zurück, ohne sich eines Einweisers zu bedienen. Dabei übersah er zwei am rechten Fahrbahnrand geparkte Lkw und fuhr auf den einen auf, der gegen den dahinter abgestellten Lkw geschoben wurde. Zwischen diesen beiden Lkw stand der Geschädigte. Er wurde eingequetscht und erlitt schwere Verletzungen.
Entscheidung
Im Ergebnis hat der BGH das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte wegen nicht miteinander verbundener Arbeiten verneint:
Die Beurteilung, ob in einer Unfallsituation eine „gemeinsame“ Betriebsstätte vorlag, müsse sich auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen und knüpfe daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation gegeben sei.
Das Berufungsgericht hatte für die „gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation“ alleine darauf abgestellt, dass der Geschädigte beiseite getreten ist, um den rückwärtsfahrenden Lkw, an dessen Steuer der Beklagte zu 2 saß, vorbeifahren zu lassen. Dies stelle ein stillschweigend aufeinander abgestimmtes Verhalten dar und reiche für die Bejahung einer gemeinsamen Betriebsstätte in der konkreten Unfallsituation aus.
Nach Ansicht des BGH treffe dies jedoch nicht zu. Zwar könne die notwendige Arbeitsverknüpfung im Einzelfall auch dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen und unterstützen, die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe aber eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete Absprachen getroffen werden. Das sei etwa dann der Fall, wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober 2011 — VI ZR 248/10, aaO, Rn. 11 mwN). Eine solche Verständigung ergebe sich aber aus den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Beklagtenvortrag nicht. Zwar haben die Beklagten auch vorgetragen, der Geschädigte habe die Annäherung des Lkw an den Abladeort und den Abladevorgang beobachten und ggf. durch Anweisungen Hilfe leisten wollen. Dass er in der konkreten Unfallsituation insoweit tätig war oder eine Verständigung mit dem Beklagten zu 2 stattgefunden hat, ist aber weder festgestellt noch von den Beklagten vorgetragen. Vielmehr wird mit dem „Ausweichen“ des Geschädigten vor dem herannahenden Lkw nur ein Verhalten aufgezeigt, das nicht über dasjenige hinausgeht, was von jedem anderen Passanten zu erwarten war. Ein bewusstes Miteinander in einem Arbeitsablauf oder ein zumindest tatsächlich aufeinander bezogenes Zusammenwirken zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten zu 2 ließe sich daraus nicht ableiten.