Gegen herabfallende Gerüstteile muss man sich selber schützen

OLG Oldenburg, Urteil vom 28.2.2017 — Aktenzeichen: 2 U 89/16

Baustellenunfälle haben in der Regulierungspraxis der Versicherer große (wirtschaftliche) Bedeutung. Wird ein an einer Baustelle tätiger Bauarbeiter durch ein herabfallendes Gerüstbauteil verletzt, muss derjenige, dem das Gerüstteil aus der Hand fällt, nicht zwingend haften, wie der Fall des OLG Oldenburg zeigt. Alleinige Schuld waren der Verunfallte selbst und sein Arbeitgeber, dessen Verantwortungsanteil sich der Geschädigte zurechnen lassen muss.

Leitsatz
1. Der Vorarbeiter einer Arbeitskolonne, die aus vom Gerüstbauunternehmer entliehenen Arbeitnehmern besteht, welche allein mit dem Abbau eines Gerüsts befasst sind, ist nicht Adressat der Unfallverhütungsvorschrift § 13 BGV C 22 und nicht verkehrsversicherungspflichtig in Bezug auf das Gerüst. Die Sicherungspflicht trifft allein das Gerüstbauunternehmen.

2. Lässt ein Gerüstbauer einer Gerüststange fallen und wird dadurch ein unterhalb des Gerüsts tätiger Klempner verletzt, der von seinem Arbeitgeber an diesen Arbeitsplatz geschickt worden ist, so bilden der Klempner und sein Arbeitgeber wegen des im Wesentlichen gleichgerichteten Verursachungsbeitrages (Aufnahme der besonders gefahrneigenden Arbeit unterhalb der Gerüstbauarbeiten) eine tatsächliche Haftungseinheit, die wegen des Einschlusses des Geschädigten als Tatbeitragseinheit zu bezeichnen ist.

3. Wird allein der Gerüstbauarbeiter wegen des Unfalls in Anspruch genommen, sind in die Abwägung nach § 254 BGB ausschließlich das Verschulden des Gerüstbauarbeiters einerseits und der in einer einheitlichen Quote zum Ausdruck kommenden Verursachungsbeitrag der Tatbeitragseinheit aus Klempner und Arbeitnehmer andererseits einzustellen. Das in Bezug auf Nebentäter grundsätzlich anzuwendende Prinzip der Einzelabwägung und Gesamtschau gelangt wergen der ausschließlichen Inanspruchnahme nur eines Nebentäters nicht zur Anwendung. Es verbleibt bei der Einzelabwägung.

4. Diese Einzelabwägung zwischen Gerüstbauarbeiter und Tatbetragseinheit kann zu einem den Anspruch des Geschädigten ausschließenden Mitverschulden der Tatbetragseinheit führen.

Sachverhalt
Ein 18-stöckiges Wohngebäude sollte saniert werden. Mit den Fassadenarbeiten war die Fa. F beauftragt. Die Fa. F beauftragte das Gerüstunternehmen Fa. G mit den Gerüstbauarbeiten. Die Fa. G lieh sich von der Fa. RH auf Stundenbasis drei Mitarbeiter, darunter der Vorarbeiter B. Am 8.11.2010 waren die Mitarbeiter der Fa. RH bereits seit 14 Tagen mit dem Abbau des Gerüstes beschäftigt. Am selben Tag war wegen Wassereintritten in das Haus der Mitarbeiter V eines Klempnerunternehmens K auf Weisung seines Chefs damit befasst, unterhalb der untersten Balkone Arbeiten an den dortigen Entwässerungsrohren durchzuführen. Dem Chef war mitgeteilt, dass Bauarbeiten unterhalb des Gerüsts nicht stattfinden dürfen, wenn auf dem Gerüst gearbeitet wurde. Ob und wie der Gefahrenbereich abgesperrt war, war streitig. Die Mitarbeiter der Fa. RH lösten während des Gerüstabbaus eine 5 m lange und 20 kg schwere Gerüststange; dabei stolperte der Vorarbeiter; er konnte die Stange nicht mehr halten. Die Stange fiel 20 m in die Tiefe und traf dort den Klempner V, der gerade in diesem Moment unter dem Balkon hervorkam. Trotz des von ihm getragenen Helms verletzte sich V schwer. Die BG rechnet mit Aufwendungen in Millionenhöhe.

Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das Oberlandesgericht hat zunächst festgestellt, dass es nicht Aufgabe des Vorarbeiters gewesen sei, für die Sicherung des Gerüstbereichs zu sorgen, also unterhalb des Gerüstes den Bereich abzusperren oder durch einen Warnposten zu sichern. Diese Aufgabe obliege allein dem Gerüstbauunternehmen G. Dass der Vorarbeiter tatsächlich „Vertreter des Arbeitgebers“ gewesen sei und insoweit für den Arbeitsschutz zuständig, konnte das Gericht nicht feststellen.

Allerdings fiel dem Vorarbeiter die Gerüststange fahrlässig aus der Hand, weshalb eine Haftung dem Grunde nach zunächst gegeben sei, und zwar unmittelbar nach § 823 Abs. 1 BGB.

Allerdings seien die Eigenverantwortlichkeit des Verunfallten, der um die Gerüstbauarbeiten hätte wissen müssen, und die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers des Verunfallten, der diesen auf eine unsicherer Baustelle geschickt habe, derart überwiegend, dass dahinter die allenfalls leicht fahrlässige Verursachung durch den Vorarbeiten zurück treten.

Praxishinweis
Bemerkenswert ist, dass das OLG die Verantwortlichkeit letztlich nicht bei demjenigen fand, der den Schaden unmittelbar verursacht hat (nämlich durch das Fallenlassen eines Gerüstbauteils), sondern bei dem Verunfallten und seinem Arbeitgeber selbst, obschon auch letztere nicht für die Absicherung des Bereichs unterhalb der Gerüstbauarbeiten zuständig gewesen seien. Bemerkenswert ist vor allem die Reduzierung des Anspruchs auf null. Bei allem Abwägungsspielraum hätte man dies auch anders bewerten können.

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