Beratungspflicht von Architekt und Ingenieur im Vergabeverfahren

OLG Hamm, Urteil vom 29.4.2008 — Aktenzeichen: 24 U 99/06

Leitsatz
Wer als Architekt oder Ingenieur eine öffentliche Auftragsvergabe begleitet, hat den Bauherrn im Rahmen der Leistungsphasen 6 und 7 über spekulierende Bieter aufzuklären.

Sachverhalt
Aufgrund von gravierenden Ausschreibungsschwächen im Leistungsverzeichnis sind Spekulationen möglich, die vom Mindestbietenden über Mischkalkulation ausgenutzt werden. Er bietet eine ausgeschriebene Position, die erkennbar überwiegend entfallen wird, sehr günstig an und die Ersatzposition sehr teuer. Der Bieter wird beauftragt, die Spekulation geht auf.

Der Bauherr nimmt den Ingenieur, der die Ausschreibung begleitet, auf Schadensersatz in Anspruch, allerdings auch nach gerichtlichem Hinweis ausschließlich mit dem Argument, der Ingenieur habe die Ausschreibung ohne die genannten Schwächen herausbringen müssen.

Entscheidung
Der Bauherr unterliegt knapp.

Natürlich hat der Ingenieur pflichtwidrig gehandelt, weil seine Ungenauigkeiten erst Spekulationen ermöglicht haben. Aber es lässt sich nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, was der Bauherr am Ende hätte bezahlen müssen, wenn die Ausschreibung richtig gewesen wäre. Grundlage der Schadensberechnung des Bauherren war nämlich, dass dann ein anderer Bieter Erfolg gehabt hätte. Genau das ließ sich nicht mehr klären.

Interessanter sind die am Rande liegenden Ausführungen des Gerichts zu einem Punkt, der am Ende nicht entscheidungserheblich wurde, weil der Bauherr auf den Zug trotz Hinweises des Senats offenbar nicht aufspringen wollte. Dabei geht es um die Frage, ob der Ingenieur nicht im Zuge der Angebotswertung die Pflicht gehabt hätte, auf die Spekulationspreise und deren Gefahren den Bauherren hinzuweisen. Womöglich hätte der Ingenieur sogar den Ausschluss des Angebots wegen der Mischkalkulation anregen müssen. Dann hätte in der Tat womöglich — das hat das Gericht nicht aufklären müssen – der Zweitplazierte den Zuschlag erhalten und geringere Kosten verursacht.

Anmerkung
Die Anforderungen an die Rechtskenntnisse des Architekten oder Ingenieurs sind nicht zu unterschätzen.

In der Planungsphase betrifft das vor allem das öffentliche Baurecht. Im Rahmen der Baudurchführung kommen auch zivilrechtliche Fragen auf, und im öffentlichen Auftragswesen Fragen des Vergaberechts.

Überall gilt: Wer sich aufs Eis wagt, muss auch Schlittschuhlaufen können. Kein Architekt wird damit gehört werden, er sei doch kein Rechtsanwalt, wenn z.B. sein Vertragsformular, das schon sein Vater in den 50er Jahren eingesetzt hat, und das er dem Bauherren empfahl, vor Gericht unwirksame Klauseln aufweist.

Auch wer den Vorbehalt der Vertragsstrafe bei der Abnahme verpatzt oder die Kündigungsformalien im Rahmen der §§ 4 Nr.7, 5 Nr.4, 8 Nr.3 VOB/B nicht einhält, darf sich auf Haftung gefasst machen, wenn ein Schaden entsteht.

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