Arbeitsunfall trotz Fachkraft für Arbeitssicherheit

OLG Nürnberg, Urteil vom 17.6.2014 — Aktenzeichen: 4 U 1706/12

Leitsatz

1. Der Vertrag eines Arbeitgebers mit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit entfaltet Schutzwirkung zu Gunsten eines bei einem Arbeitsunfall verletzten Arbeitnehmers.

2. Wird als Fachkraft für Arbeitssicherheit ein selbstständiger, nicht in die Betriebsorganisation eingebundener externer Unternehmer tätig, so kommen ihm bei einem Arbeitsunfall eines Beschäftigten die Haftungsprivilegien des Sozialgesetzbuchs VII nicht zugute.

3. Der Arbeitgeber kann seine Verantwortung für die Sicherheit seiner Beschäftigten nicht mit haftungsbefreiender Wirkung auf die Fachkraft für Arbeitssicherheit übertragen.

4. Die Haftung der Fachkraft für Arbeitssicherheit ist nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld um den Verantwortungsanteil des Arbeitgebers an dem Arbeitsunfall zu kürzen. Arbeitgeber und Fachkraft für Arbeitssicherheit bilden keine Haftungseinheit.
Sachverhalt
Die Klägerin macht als gesetzliche Unfallversicherung gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche des Geschädigten geltend. Der Geschädigte war als Maschinenarbeiter für seinen ehemaligen Arbeitgeber tätig und erlitt während seiner beruflichen Tätigkeit einen schweren Arbeitsunfall. Während seiner Arbeit an einer von seinem Arbeitgeber eingesetzten Pappkartonstanze geriet der Geschädigte, als er Kartonagen in das Walzwerk der Maschine einführte, mit seiner rechten Hand in die sogenannte „Riffelwalze“ dieser Maschine, wodurch die Hand in die Maschine eingezogen und partiell skelettiert wurde. Bei seinem Versuch, die rechte Hand aus der Maschine zu befreien, wurde auch die linke Hand verletzt. Die Pappkartonstanze wurde von der Beklagten zu 1) hergestellt und geliefert. Sie entsprach nicht der Maschinenrichtlinie 89/392/EWG, so dass es zu dem Unfall kommen konnte. Mit schriftlichem Vertrag hatte der Arbeitgeber des Geschädigten den Beklagten zu 2) vertraglich mit der Grundbetreuung nach dem Arbeitssicherheitsgesetz BGV A6 beauftragt. In § 1 des Vertrages wurde vereinbart, dass der Beklagte zu 2) eigenverantwortlich gegen Entgelt die arbeitssicherheitstechnische Betreuung der Betriebsangehörigen übernimmt und in der Ausübung seiner Tätigkeit weisungsfrei und nur dem Gesetz unterworfen ist.

Entscheidung
Die Beklagten zu 1) und 2) haben als Gesamtschuldner für die Folgen des Arbeitsunfalles einzustehen.

Haftung der Beklagten zu 1):

Die grundsätzliche der Beklagten zu 1) ergibt sich aus §§ 1 Abs. 1, 2, 3 Abs. 1 b, 4 Abs. 1 und Abs. 2, 8 und 9 ProdHaftG.

Haftung des Beklagten zu 2) nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter:

Der Beklagte zu 2) haftet auf Grund der mangelhaften Erfüllung der vertraglich eingegangenen Verpflichtungen als Fachkraft für Arbeitssicherheit nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter. Der Geschädigte war als Arbeitnehmer des Arbeitgebers in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen.Die von der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter entwickelten Voraussetzungen sind vorliegend sämtlich erfüllt. Das Merkmal der Leistungsnähe lag vor. Der Geschädigte kam als Beschäftigter des Arbeitgebers mit den vom Beklagten zu 2) auf ihre Arbeitssicherheit zu überprüfenden Maschinen im Betrieb des Arbeitgebers unmittelbar in Kontakt. Die arbeitssicherheitstechnische Betreuung der Betriebsangehörigen gehörte gemäß § 1 des Vertrages zu den vom Beklagten zu 2) übernommenen Aufgaben, so dass die Vertragspflichten des Beklagten zu 2) auch drittbezogen waren. Der Arbeitgeber als Vertragspartner des Beklagten zu 2) schuldete auf Grund des Arbeitsvertrages mit dem Geschädigten diesem auch Schutz und Fürsorge und hatte deshalb ein eigenes Interesse daran, seine Beschäftigten in den Schutzbereich des Vertrages einzubeziehen. Die Drittbezogenheit seiner sicherheitstechnischen Aufgaben, die Leistungsnähe der Beschäftigten und das Einbeziehungsinteresse des Arbeitgebers lagen für den Beklagten zu 2) offen zu Tage und ergaben sich zudem aus dem Inhalt der vertraglichen Vereinbarung. Der Geschädigte war auch schutzbedürftig, da ihm auf Grund der Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII kein gleichgerichteter vertraglicher Anspruch desselben Inhalts gegenüber dem Arbeitgeber oder einem Dritten zusteht.

Kein Haftungsprivileg
Dem Beklagten zu 2) kommen die Haftungsprivilegien der §§ 104 ff SGB VII nicht zugute. Eine Beschränkung der Haftung nach § 105 Abs. 1 SGB VII scheitert vorliegend bereits daran, dass es sich bei der Tätigkeit des Beklagten zu 2) nicht um eine betriebliche Tätigkeit eines Versicherten desselben Betriebs im Sinne der genannten Vorschrift handelt, sondern um die selbständige, entgeltliche Tätigkeit einer nicht in die Betriebsorganisation eingebundenen externen Fachkraft.

Die Voraussetzung für die Bejahung einer gemeinsamen Betriebsstätte liegen nicht vor. Im vorliegenden Fall befand sich weder der Beklagte zu 2) persönlich noch sein Mitarbeiter W. zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls in dem Betrieb des Arbeitgebers. Die arbeitstechnische Begehung des Beklagten zu 2) fand bereits zwei Wochen zuvor statt. Es fehlt somit bereits an dem zeitlichen und örtlichen Nebeneinander der Tätigkeiten des Geschädigten und des Beklagten zu 2) in der maßgeblichen konkreten Unfallsituation.

Aber Haftungskürzung wegen gestörter Gesamtschuld:

Eine den Arbeitgeber exkulpierende Übertragung der Sicherheitsverantwortung auf die externe Fachkraft für Arbeitssicherheit kann bereits deshalb nicht erfolgen, da die Vorschrift des § 6 BGV A6 ausdrücklich die den Arbeitgeber lediglich unterstützende und beratende Funktion der Fachkraft für Arbeitssicherheit hervorhebt. Aufgaben oder Befugnisse zur eigenverantwortlichen Behebung sicherheitstechnischer Defizite oder gar ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitgeber oder seinen Beschäftigten sind § 6 BGV A6 oder dem konkreten Vertrag nicht zu entnehmen. Ohne das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII würde somit auch den Arbeitgeber des Geschädigten eine Mithaftung für den Arbeitsunfall und dessen Folgen treffen.

Da der Arbeitgeber des Geschädigten wegen § 104 Abs. 1 SGB VII jedoch von seiner eigenen Haftung befreit ist und somit auch von den Beklagten zu 1) und 2) nicht im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 BGB in Anspruch genommen werden kann, hat der Ausgleich nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld in der Weise zu erfolgen, dass die Haftung der verbliebenen Haftpflichtigen um den Verantwortungsteil des privilegierten Schädigers zu reduzieren ist (hier um 1/3).

Die für den Arbeitsunfall Verantwortlichen, also die Beklagte zu 1), der Beklagte zu 2) und der Arbeitgeber des Geschädigten, bildeten vorliegend auch keine Haftungseinheit, welche die Anwendung der Grundsätze der gestörten Gesamtschuld ausschließen würde. Eine solche liegt vor, wenn sich die Verursachungsbeiträge mehrerer Personen zu ein und demselben Umstand vereinigt haben oder zumindest im Wesentlichen zu ein und demselben Schadensbeitrag verschmolzen sind, bevor der Verursachungsbeitrag einer weiteren außenstehenden Person hinzutritt. Eine Haftungseinheit besteht demgegenüber nicht, wenn sich die Schadensbeiträge der einzelnen Schuldner auf dem Wege zur Schadensentstehung lediglich addieren und ihre eigene Bedeutung behalten. Um eine derartige Gefahrenaddition, nicht aber um ein Verschmelzen der Gefahrenbeiträge handelt es sich im vorliegenden Fall.

Ein sehr komplexer Fall, der wegen der oft übersehenen Figur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie einer gestörten Gesamtschuld besondere Aufmerksamkeit verdient.

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