Zur Hinweispflicht des Steuerberaters auf einen möglichen Insolvenzgrund
BGH, Urteil vom 26.1.2017 — Aktenzeichen: IX ZR 285/14
Leitsatz
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln.
Eine Haftung des Steuerberaters setzt voraus, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft objektiv zu Unrecht von Quotierungswerten ausgeht.
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist.
Sachverhalt
Die Schuldnerin beauftragte den beklagten Steuerberater, den Jahresabschluss für mehrere Jahre zu erstellen. Die Jahresabschlüsse für die Jahre 2003 bis 2007 wiesen jeweils nicht durch Eigenkapital gedeckte erhebliche Fehlbeträge auf. Der beklagte Steuerberater wies im Jahre 2007 den Geschäftsführer der Schuldnerin darauf hin, dass dieser verpflichtet sei, regelmäßig die Zahlungsfähigkeit sowie die Vermögensverhältnisse der GmbH auf eine mögliche Insolvenzreife hin zu überprüfen. Im Jahr 2009 stellte die Schuldnerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Kläger ist der Auffassung, die Schuldnerin sei bereits bei Übernahme des ersten Auftrages durch den beklagten Steuerberater insolvenzreif gewesen, worauf der Beklagte habe hinweisen müssen. Wegen angeblich verschleppter Insolvenzantragsstellung begehrt der Kläger nunmehr Ersatz entstandener Schäden von dem Beklagten.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass der Beklagte haften kann, wenn er den Jahresabschlüssen zu Unrecht Fortführungswerte zugrunde gelegt hat. Ein Steuerberater, der es übernimmt, einen handelsrechtlichen Jahresabschluss für einen Kaufmann oder eine Gesellschaft zu erstellen, schuldet einen Leistungserfolg. Er verletzt seine Pflichten aus dem ihm erteilten Auftrag, wenn der Jahresabschluss mangelhaft ist. Dabei ist der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater verpflichtet, grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss zu erstellen. Ergeben sich dann aus den dem Steuerberater zur Verfügung gestellten Unterlagen und den sonst bekannten Umständen keine Anhaltspunkte für Zweifel an einer Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit, handelt der Steuerberater pflichtgemäß. Steht umgekehrt bereits auf der Grundlage der dem Steuerberater für die Erstellung des Jahresabschlusses zur Verfügung gestellten Unterlagen und der ihm bekannten Umstände fest, dass die Fortführungsvermutung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB nicht mehr zutrifft, ist eine Bilanzierung nach Fortführungswerten mangelhaft. Der Steuerberater muss bei pflichtgemäßem Verhalten die sichere Überzeugung gewinnen können, dass die Unternehmenstätigkeit — etwa aufgrund einer erkannten Insolvenzreife — nicht fortgeführt werden wird.
Zudem kann sich eine Hinweispflicht des Steuerberaters ergeben, wenn sich aus den vorliegenden Unterlagen ernsthafte Hinweise auf einen möglichen Insolvenzgrund ergeben. Hierüber muss der Steuerberater die Mandantin unterrichten. Zur weitergehenden Überprüfung ist der Steuerberater aber nicht verpflichtet. Erst recht ist der Steuerberater nicht verpflichtet, von sich aus eine Überschuldungsprüfung vorzunehmen. Vielmehr hat der Geschäftsführer — werden ihm die entsprechenden Indizien genannt — die erforderliche Überprüfung selbst vorzunehmen oder gesondert in Auftrag zu geben.
Fazit: Erkennt ein Steuerberater bei der Erstellung eines Jahresabschlusses, dass ein Insolvenzgrund vorliegen könnte, kann sich hieraus eine Hinweispflicht ergeben. Eine Haftung des Steuerberaters kommt in Betracht, wenn die Gesellschaft aufgrund dieses Hinweises tatsächlich früher Insolvenz angemeldet hätte.