Wann verjähren Ansprüche nach § 110 SGB VII?
Landgericht Cottbus, Urteil vom 20.9.2013 — Aktenzeichen: 6 O 269/10
Die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen Ansprüche nach § 110 SGB VII verjähren, wird in Rechtsprechung und Rechtsliteratur kontrovers diskutiert. Die Diskussion wurde nun durch eine Entscheidung des LG Cottbus bereichert.
Leitsatz
1. Die bindende Feststellung der Leistungspflicht nach § 113 SGB VII erfolgt durch jeden Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers, der entsprechende Leistungen enthält. Dazu zählt auch die Zahlung von Verletztengeld.
2. Die Verjährungsfrist beginnt taggenau, also nicht mit dem Schluss des Jahres.
3. Ein Verjährungsverzicht oder ein Anerkenntnis gilt nur gegenüber demjenigen, zu dessen Gunsten er abgegeben wurde; eine Erklärung, die gegenüber einem Rentenversicherungsträger abgegeben wurde, hat keine Wirkungen gegenüber einem Unfallversicherungsträger.
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Unfallversicherungsträger. Der Beklagte ist Zimmermann und war damit befasst, für ein Einkaufszentrum Zimmermannsarbeiten auszuführen. Zum Auftragsumfang gehörte u.a. die Montage von Bindern. Während der Montage kippten die bereits aufgestellten, aber noch nicht befestigten Binder um. Zwei Mitarbeiter des Beklagten stürzten einige Meter tief nach unten und verletzten sich schwer.
Folgende Daten sind für die Entscheidung relevant:
30.08.2005 Unfall
15.09.2005 Klägerin informiert Geschädigte, dass ein Arbeitsunfall vorliege und Sozialleistungen erbracht werden
15.10.2005 Klägerin erlässt Bescheid über Verletztengeld
28.08.2007 Klägerin erlässt Rentenbescheid, zugleich Anerkennung als Arbeitsunfall.
19.11.2007 Klägerin teilt mit, sie habe zu prüfen, ob zivilrechtliche Ansprüche bestünden; deshalb bittet sie den Beklagten um Mitteilung, bei welchem Haftpflichtversicherer der Beklagte versichert ist.
20.11.2007 Beklagte teilt telefonisch mit, es solle doch „das gerichtliche Verfahren“ abgewartet werden.
02.02.2010 Haftpflichtversicherer erklärt gegenüber dem Rentenversicherungsträger (!), dass Einwendungen zum Haftungsgrund nicht erhoeben werden.
19.02.2010 Klägerin meldet Ansprüche beim Haftpflichtversicherer an.
26.02.2010 Versicherer bestätigt Eingang und kündigt Ermittlungen an.
08.03.2010 Versicherer verzichtet gegenüber Rentenversicherungsträger (!) auf Einrede der Verjährung bis Ende 2012.
23.03.2010 Versicherer lehnt Haftung ab und stellt Klage anheim.
07.10.2010 Erhebung der Klage (Zustellung am 02.11.2010).
Entscheidung
Das Landgericht hat Klage schon wegen Verjährung abgewiesen und die schwierigen Fragen, ob gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen wurde und wenn ja, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, dahinstehen lassen.
Die Verjährung richtet sich nach § 113 SGB VII. Danach verjährt der Anspruch nach § 110 SGB VII entsprechend den Bestimmungen der §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 des BGB mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.
Nach Auffassung des Landgericht stellt eine solche Leistungsfeststellung bereits die Zahlung von Verletztengeld dar. Jedenfalls habe die Verjährung durch den Bescheid über die Gewährung von Verletztengeld zu laufen begonnen.
Das Landgericht nimmt ferner eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist vor; die Frist beginne taggenau mit der Feststellung der Leistungspflicht und ende drei Jahre später, hier also im September/Oktober 2008. Für diese Auslegung spreche der Wortlaut, aber auch eine historische Betrachtung und der gesetzgeberische Wille; denn die Regelung gehe zurück auf das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das SGB aus 1996, nach dem § 852 BGB ebenfalls mit der Maßgabe gelten sollte, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht bindend festgestellt wird. Die spätere Fassung des § 113 SGB VII beruhte — so das LG — darauf, dass § 852 BGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts geändert worden ist. In der Gesetzesbegründung heiße es — so das LG — lediglich, dass sich die entsprechenden Regelungen nunmehr in den neuen §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 BGB befänden; es sei mit keinem Wort darauf hingewiesen worden, dass mit der Neufassung die taggenaue Verjährungsfrist nicht mehr habe gelten sollen.
Die gegenüber der Rentenversicherung abgegebenen Erklärungen wirkten nach Ansicht des Landgerichts nicht gegenüber der Klägerin, und zwar selbst dann, wenn man von einer Gesamtgläubigerschaft ausginge.
Im November 2007 habe es keine Verhandlungen gegeben; auch wenn der Begriff der Verhandlung weit auszulegen sei, führten der Hinweis, „man prüfe Ersatzansprüche“, und die Bitte um Mitteilung des Haftpflichtversicherers nicht zur Hemmung; deshalb könne auch der telefonische Hinweis des Beklagten, es solle das Verfahren abgewartet werden, nicht als beginnende Verhandlung angesehen werden.
Verhandlungen habe es nur vom 22.02.2010 bis zum 24.03.2010 gegeben. Dieser Zeitraum habe die Verjährung nicht mehr hinreichend hemmen können. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Verjährungsfrist spätestens am 28.09.2010 endete, so dass die Klage im Oktober nichts mehr bewirken konnte.