Vollkaskoversicherung
Wird in einem Schadenanzeigeformular einer Vollkaskoversicherung nach reparierten und unreparierten Vorschäden sowie Schäden beim Vorbesitzer gefragt, so muss der Versicherungsnehmer das Formular dahingehend verstehen, dass auch nach unreparierten Vorschäden, die beim Vor-Vorbesitzer entstanden sind, gefragt ist und nicht nur nach Vorschäden, die bei dem letzten Vorbesitzer eingetreten sind.
Sachverhalt
Der Kläger begehrte nach einem Vandalismusschaden an seinem Pkw von der beklagten Versicherung Leistungen aus einer bei dieser abgeschlossenen Vollkaskoversicherung. Der Kläger hatte den Pkw 2 Monate vor dem Vandalismusschaden von privat als „unfallfrei“ erworben.
Wegen der Schadenanzeige füllte der Versicherungsagent einen Formularbogen der Beklagten aus, indem er dem Kläger Fragen mitteilte und dann dessen Antworten in das Formular eintrug. Der Kläger antwortete auf die Frage nach unreparierten und reparierten Vorschäden jeweils mit „nein“. Auf die Frage nach Schäden beim Vorbesitzer antwortete er, solche seien ihm nicht bekannt, worauf der Agent „nein“ ankreuzte. Tatsächlich hatte der Wagen jedoch beim Vor-Vorbesitzer Schäden erlitten, die noch unrepariert vorhanden waren, und von denen dem Kläger zumindest ein Schaden bekannt war.
Das Landgericht Essen hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Hamm bestätigte die Entscheidung und wies die Berufung des Klägers zurück.
Entscheidung
Das OLG Hamm stellte klar, dass der Kläger durch seine Antworten auf die o.g. Fragen eine Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verletzt hatte.
Der Kläger habe das Formular dahingehend verstehen müssen, dass auch nach unreparierten Vorschäden, die beim Vor-Vorbesitzer entstanden waren, gefragt war. Maßgeblich für das Verständnis der Formulierungen in Formularbögen ist nach ständiger Rechtsprechung die Verständnismöglichkeit eines verständigen Versicherungsnehmers.
Das OLG Hamm hat ausgeführt, dass der verständige Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennen könne, dass der Versicherer alle unreparierten Vorschäden erfahren möchte, egal, ob diese beim Vorbesitzer, dem Vor-Vorbesitzer oder einem noch früheren Besitzer eingetreten seien. Der Versicherer habe nämlich ein offensichtliches Interesse an der Mitteilung solcher Schäden, da er nur für Schäden aus dem jeweils geltend gemachten Versicherungsfall, nicht jedoch für Vorschäden leisten müsse. Außerdem sei die Frage der Vorschäden auch für die Wertermittlung von Bedeutung. Der verständige Versicherungsnehmer könne die Frage nach Schäden beim Vorbesitzer daher nicht dahin verstehen, dass diese sich nur auf diejenigen Schäden beziehe, die bei dem letzten Vorbesitzer eingetreten seien.
Nach der Entscheidung des OLG Hamm stellt die Frage nach allen – jedenfalls unreparierten – Vorschäden auch keine unzulässige Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, da eine Obliegenheitsverletzung wegen einer Falschangabe nur vorliege, wenn der Versicherer beweist, dass der Versicherungsnehmer die wahren Tatsachen kannte.
Praxishinweis
Gem. § 7 Abs.2 Satz 4 der Allgemeinen Kraftfahrbedingungen (AKB) ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Hierbei werden an den Versicherungsnehmer keine geringen Anforderungen gestellt. Bei der Anzeige eines Schadens muss sich der Versicherungsnehmer, um eine spätere Leistungsfreiheit des Versicherers aufgrund einer Obliegenheitsverletzung zu vermeiden, dessen Fragenkatalog sehr genau ansehen und alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Dabei wird von dem verständigen Versicherungsnehmer verlangt, nicht am Wortlaut der Frage „zu kleben“, sondern auch die Interessen des Versicherers bei der Interpretation der Fragen zu beachten.