Ohne Verfügungsgewalt keine Verkehrssicherungspflicht–oder Eigentum verpflichtet nicht immer

BGH, Urteil vom 13.6.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 395/16

Wird dem Verkehrssicherungspflichtigen die tatsächliche Verfügungsgewalt entzogen, verbleibt keine, auch keine reduzierte, Verkehrssicherungspflicht bei dem zunächst Sicherungspflichtigen. Vielmehr ist für die haftungsrechtliche Zuordnung entscheidend, wer in der Lage ist, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Leitsatz
Wird dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen mittels einer hoheitlichen Maßnahme (hier: vorzeitige Besitzeinweisung nach § 18 f FStrG) die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Grundstück gegen oder ohne seinen Willen entzogen und verbleibt bei ihm infolge dieses Entzugs nur noch eine rein formale Rechtsposition im Sinne einer vermögensrechtlichen Zuordnung (Eigentum), so reicht dies für die Begründung einer deiktischen Haftung für die vom Grundstück ausgehende Gefahr nicht aus.

Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten.

Sachverhalt
Durch einen Windstoß fiel im Jahr 2012 ein Ast von einem Baum, welcher auf dem Grundstück der Beklagten stand, auf den auf einer Parkfläche abgestellten Pkw des Klägers. Ab Anfang 2010 war die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Streithelferin, gemäß § 18 f FStrG in den Besitz des Grundstücks der Beklagten eingewiesen worden.

Nachdem der Kläger in erster Instanz obsiegte, wurde die Entscheidung in der Berufungsinstanz aufgehoben. Daher verfolgt der Kläger mit der Revision die Erstattung seiner Reparaturkosten weiter. Jedoch hat die Revision keinen Erfolg.

Entscheidung
Eine Enteignung hat dem BGH Anlass gegeben, nochmal die Grundsätze der Verkehrssicherungspflichten, insbesondere bei einer Übertragung derselben, darzustellen.

Daher hebt der BGH hervor, dass grundsätzlich derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung hat, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren. Somit hat derjenige, der über die Verfügungsgewalt über ein Grundstück verfügt, soweit möglich und zumutbar dafür Sorge zu tragen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere Rechtsgüter ausgeht. Der Gefahrenbereich umfasst selbstverständlich nicht nur das Grundstück selbst, sondern auch etwa angrenzende öffentliche Verkehrsflächen oder private Nachbargrundstücke.

Delegiert der Verkehrssicherungspflichtige diese Aufgabe auf einen Dritten, so trifft grundsätzlichen den Dritten die Verkehrssicherungspflichtig, auch wenn er nicht zwingend unmittelbarer Besitzer wird. Allerdings führt der Übergang nicht zu einer vollständigen Befreiung des ursprünglichen Sicherungspflichtigen. Vielmehr trifft ihn dann eine Überwachungspflicht. Hierbei ist irrelevant, ob die Verkehrssicherungspflicht vertraglich vom Dritten übernommen worden ist oder der Dritte die Aufgabe im Wissen des eigentlich Sicherungspflichtigen übernommen hat.

Abzugrenzen von dieser Konstellation sind jedoch Fälle, in welchen dem ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen die Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle gegen oder ohne seinen Willen entzogen worden ist. Ähnlich wie im Fall einer Zwangsverwaltung verbleibt auch im vorliegenden Fall lediglich die formale Eigentümerstellung des ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen. Durch die hoheitliche Verwaltung wird das Eigentum soweit zurückgedrängt, dass dem Eigentümer eine Gefahrenabwehr nicht möglich ist, da durch die Besitzeinweisung nach § 18 f IV 4 FStrG der Besitz vollständig auf den Träger der Straßenbaulast übertragen wird. Eine Überwachung durch den Eigentümer ist in diesen Fällen eben so wenig erforderlich, wie ein Hinweis.

Auf die Frage, ob der Beklagte darauf vertrauen durfte, dass eine kompetente und sachkundige öffentlich-rechtliche Körperschaft für die Verkehrssicherung ab der Einweisung zuständig gewesen ist, kommt es daher nicht mehr an.

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