Obliegenheitsverletzung durch Verschweigen einer Zeugin
LG Dortmund, Urteil vom 23.4.2010 — Aktenzeichen: 22 O 171/08
Leitsatz
1. Der Versicherungsnehmer ist im Rahmen der ihn treffenden Aufklärungsobliegenheit verpflichtet, die Unfallzeugen anzugeben.
2. Es entlastet ihn nicht vom Vorwurf der Obliegenheitsverletzung (nach VVG a.F.), wenn er eine Zeugin gegenüber dem Versicherer nicht angibt, damit die Lebensgefährtin nicht von dieser erfährt.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei dieser für sein Fahrzeug abgeschlossenen Kaskoversicherung in Anspruch.
Der Kläger verunfallte mit seinem Fahrzeug in Italien. Hierbei wurde das Fahrzeug beschädigt. Neben zufällig vorbei kommenden Passanten kann der Unfall nur von der heimlichen Freundin des Klägers bestätigt werden. Nach der Rückkehr nach Deutschland füllte der Kläger den „Unfallfragebogen“ der Beklagten aus. Auf die Frage „Gibt es Zeugen für den Unfallhergang (Bitte Namen und Anschriften angeben)“ antwortete er mit „Nein“. Erst später teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe die Zeugin nicht genannt, da er verheiratet sei und mit einer Freundin unterwegs gewesen wäre. Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung, da der Kläger die Zeugin nicht unmittelbar angab.
Entscheidung
Das Landgericht hat der Beklagten Recht gegeben und die Klage abgewiesen.
Für den Rechtsstreit war das VVG in seiner alten Fassung anwendbar. Das Gericht hat die Leistungsfreiheit der Beklagten damit begründet, dass der Kläger als Versicherungsnehmer seine Pflicht verletzt hat, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Der Kläger hat die für die Aufklärung des Sachverhalts bedeutsame Frage nach Zeugen des Unfalls verneint, obwohl seine geheime Freundin sich nach seinen eigenen späteren Angaben als Beifahrerin in seinem Pkw befand.
Die Leistungsfreiheit entfällt vorliegend auch nicht nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung. Nach dieser setzt die Leistungsfreiheit des Versicherers unter anderem voraus, dass die Obliegenheitsverletzung generell geeignet ist, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Das Gericht hat festgestellt, dass unvollständige Angaben über vorhandene Zeugen generell geeignet sind, die Interessen des Versicherers zu gefährden.
Das Gericht hat in der Berufung der Beklagten auf die Obliegenheitsverletzung wegen der Nichtangabe der Zeugin auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gesehen. Nach der Rechtsprechung des BGH kann dem Versicherer die Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung wegen Falschangaben verwehrt werden, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer den wahren Sachverhalt aus eigenem Antrieb vollständig und unmissverständlich offenbart und nichts verschleiert oder zurückhält. Dies gilt allerdings nur, soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die falschen Angaben bereits zu einem Nachteil für den Versicherer geführt haben oder nicht freiwillig berichtigt worden sind. Hier konnte die Zeugin durch die spätere Angabe erst später zum Unfall befragt werden. Ihre Erinnerung hatte bereits nachgelassen, so dass durch die unterlassene Angabe der Zeugin auf dem Unfallbogen durch den Kläger bereits ein Nachteil für die Beklagte eingetreten ist.
Praxistipp
Bei Vorliegen eines Versicherungsfalls sind dem Versicherer stets sämtliche zur Verfügung stehende Zeugen zu benennen. Das Verschweigen von Zeugen – aus welchen Gründen auch immer – kann zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. In diesem Fall hat der Versicherungsnehmer entstandene Schäden selbst zu tragen.