Gemeinsame Betriebsstätte: Verladetätigkeit auf einer Rampe

LG Duisburg, Urteil vom 23.5.2016 — Aktenzeichen: 4 O 5/15

Leitsatz
Für eine wechselseitige Gefahrenlage im Sinne des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ist es nicht erforderlich, dass die Unfallbeteiligten beide in gleichem Maße gefährdet waren. Es reicht aus, wenn insbesondere der Schädiger nur abstrakt gefährdet war. So verhält es sich etwa in dem Fall, in dem ein Lkw-Fahrer in seinem Führerhaus sitzend rückwärts eine schmale Rampe hochfahren muss, um gemeinsam mit dem später Geschädigten und für das Abkippen der Ware Verantwortlichen zusammenwirken.

Sachverhalt
Unfall auf dem Hafenbetriebsgelände des Arbeitgebers des Klägers: Aufgabe des Klägers war es, die Ladepapiere der anliefernden Lkw entgegenzunehmen, die anschließende Beladung der zu versorgenden Schiffe über eine von den Lkw genutzte Rampe zu überwachen und mit den Schiffsführern die verladenen Mengen anhand der Wiegescheine der Lkw abzustimmen. Weiteres Personal speziell für eine Einweisung der Lkw wurde nicht vorgehalten. Die Verladerampe bestand aus einer etwa 20 Meter langen und leicht auf eine Höhe von ein Meter ansteigenden Rampe, die von den anliefernden Fahrzeugen rückwärts befahren wurde. Am oberen Ende der Rampe war die Rückwärtsfahrt bis zu einem Eisenanschlag möglich und erforderlich, um von dort den Kies ordnungsgemäß nach hinten in einen Trichter kippen zu können. Besagte Trichteröffnung konnte von Fußgängern außer über die Rampe über zwei seitlich angebrachte Treppen erreicht werden, die über eine Zugangssperre verfügten.

Zum Unfallzeitpunkt begab sich der Kläger über die genannte Treppe zu dem Trichter, um dort größere Mengen Kies, die im Ladetrichter wegen der niedrigen Temperaturen hängengeblieben waren, zu lockern. Der Kläger aktivierte zuvor weder eine an der Rampe vorhandenes, ausladbares Stoppschild, noch spannte er zu seiner Sicherung eine ebenfalls vorhandene Kette über die Rampe. Er wandte den Rücken der Rampe zu. Er hörte nicht, dass sich der Beklagte zu 1) mit seiner Seilzugmaschine bei einer Geschwindigkeit von ca. 5 km/h rückwärts über die Rampe näherte. Umgekehrt konnte dieser den Kläger optisch nicht wahrnehmen. Bim Kontakt zwischen Lkw und dem Kläger erlitt dieser schwere Verletzungen, für die er nun Schadensersatz vom Beklagten und dessen Haftpflichtversicherer verlangt.

Entscheidung
Das Landgericht hat eine Haftung verneint, weil es zum Unfallzeitpunkt eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII annimmt. Die Tätigkeiten des Beklagten zu 1) – das Abkippen von Kies in die Trichteranlage zum Zweck der Beladung eines Schiffs – und des Klägers – Entgegennahme der Ladepapiere und Wiegekarten und Organisation einer gleichmäßigen und vollständigen Beladung des Schiffes, wozu auch das Lösen von Kiesresten im Trichter gehörte – standen in der konkreten Unfallsituation nicht beziehungslos nebeneinander, sondern waren aufeinander bezogen und griffen mehrfach ineinander. Wenn auch der Kläger mit der mechanischen Ausführung des Abkippvorgangs nichts zu tun hatte, so hatte er doch darauf zu achten, dass das Schiff nicht ungleichmäßig belastet wurde. Insofern war es seine Aufgabe, zusammen mit dem Schiffsführer dafür zu sorgen, dass der von dem Beklagten zu 1) angelieferte Kies ordnungsgemäß verstaut wurde. Er durfte es nicht dahin kommen lassen, dass durch unkontrolliertes Nachkippen eine einseitige Belastung des Schiffs entstand. Dabei orientierte sich der Kläger an den Wiegepapieren, die ihm wiederum von dem Beklagten zu 1) zu genau diesem Zweck übergeben worden waren. Zum anderen hatte der Kläger abgekippte, aber im Trichter steckengebliebene Kiesreste zu lösen und damit den Abkippvorgang nachträglich zum Abschluss zu bringen. In diesem Sinne wirkten er und der Beklagte bei der Beladung zusammen und kamen sich so ablaufbedingt in die Quere.

Der Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte stünde auch nicht entgegen, dass es an einer Gefahrengemeinschaft in dem Sinne gefehlt hätte. So führt das Landgericht aus, dass die Rechtsprechung mit dem Kriterium der Gefahrengemeinschaft keine Symmetrie der gegenseitigen potenziellen Gefährdungen verlange, sondern abstrakt voraussetze, dass jeder, der in enger Berührung miteinander tätigen sowohl zum Schädiger als auch zum Geschädigten werden könne. Es reiche demnach aus, dass eine gegenseitige Gefährdung nicht völlig ausgeschlossen sei. So verhielte es sich hier. Eine Gefährdung des Beklagten zu 1) erscheint zwar nicht unbedingt naheliegend, aber schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil der Beklagte zu 1) bei dem Abkippvorgang rückwärts eine schmale Rampe zu befahren hatte, bei der es zudem durch Sonneneinstrahlung zu starken Blendeffekten kommen konnte. Da spezifisches Einweisungspersonal nicht vorhanden war und der Kläger ggf. auch mit anderen Aufgaben innerhalb und außerhalb des Containers betraut war, war nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte zu 1) etwaige Hindernisse übersah, die insbesondere angesichts des Gewichts der Zugmaschine und der Abschüssigkeit zu einer Gefährdung seiner Fahrt durch unkontrolliertes Rutschen führen konnten.

Mit Fantasie und gutem Vortrag kann man also Gerichte selbst in Situationen, in denen eine gemeinsame Betriebsstätte nicht unbedingt ins Auge springt, vom Vorliegen eines Haftungsausschlusses überzeugen.

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