Der Vergütungsanspruch des Werkunternehmers nach „freier“ Kündigung durch den Besteller

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.08.2021 – 22 U 267/20

 

Problemdarstellung

Beim Werk- oder Bauvertrag besteht im Gegensatz zu den allermeisten anderen deutschen Vertragsformen die Möglichkeit für den Besteller/Auftraggeber, sich ohne besondere Begründung einseitig von dem geschlossenen Vertrag zu lösen, was als freie Kündigung bezeichnet wird. Historischer Hintergrund dieser Regelung ist der Umstand, dass der Unternehmer/Auftragnehmer nach dem Gesetz zur Herstellung des Werkes zwar verpflichtet, nicht aber dazu berechtigt ist; er hat also keinen einklagbaren Anspruch darauf. Nur der Besteller/Auftraggeber kann insoweit disponieren und z.B. die Ausführung von Arbeiten auf seinem Grundstück ablehnen. Dies durchbricht jedoch den elementaren Grundsatz des deutschen Zivilrechts pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten), weshalb das Gesetz dem Unternehmer im Falle der freien Kündigung die Möglichkeit gibt, neben dem Werklohn für etwaig schon erbrachte Leistungen auch die volle vertraglich vereinbarte Vergütung für die nach dem Vertrag vorgesehenen, aber noch nicht erbrachten Leistungen zu verlangen. Mit Rücksicht auf die rechtlichen Interessen beider Vertragsparteien sollen dem Unternehmer durch die freie Kündigung keine Nachteile, allerdings auch keine Vorteile entstehen. Aus diesem Grund muss er sich auf seinen Vergütungsanspruch für die nicht erbrachten Leistungen die ersparten Aufwendungen und den Erwerb durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft (Füllaufträge) anrechnen lassen. Zur Erleichterung stellt das Gesetz die Vermutung auf, dass die insoweit reduzierte Vergütung 5 % des nach dem Vertrag für die nicht erbrachten Leistungen vereinbarten Werklohns beträgt, was von beiden Vertragsparteien allerdings widerlegt werden kann.

Im Rahmen der Geltendmachung eines solchen Vergütungsanspruchs kommt es aus naheliegenden Gründen oftmals zu Streit zwischen den Parteien über die Höhe der ersparten bzw. nicht ersparten Aufwendungen des Unternehmers, beginnend damit, ob einzelne Umstände überhaupt ersparte Aufwendungen im gesetzlichen Sinne darstellen bis zur Höhe dieser. Zum Verständnis ist hierbei wichtig, dass der gesetzliche Anspruch auf die „volle vertraglich vereinbarte Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen“ nicht gleichzusetzen ist mit einem betriebswirtschaftlichen Gewinn, weil dieser nicht lediglich projektbezogen berechnet wird. Hingegen stellen etwa allgemeine Geschäftskosten, die projektunabhängig anfallen, keine ersparten Aufwendungen dar.

 

Sachverhalt

Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte sich mit den Voraussetzungen ersparter Aufwendungen im gesetzlichen Sinne zu befassen. Dem zugrunde lag ein Detail-Pauschalpreisvertrag gerichtet auf die Ausführung von Abbruch-, Erd-, Spezial-Tiefbau- und Stahlbetonarbeiten gegen einen Pauschalpreis von 1.666.000,00 €. Der Auftraggeber sprach recht frühzeitig eine freie Kündigung aus, der Auftragnehmer verlangte daraufhin einen Werklohn in Höhe von 50.000,00 € für die erbrachten Arbeiten und weitere 213.000,00 € für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen. Die Sache ging letztlich vor Gericht. Dort hat der klagende Auftragnehmer zur Darlegung der ersparten Aufwendungen seine Urkalkulation vorgelegt. Der Auftraggeber hat der Verwertung widersprochen, diese auch inhaltlich bestritten und eingewendet, der Auftragnehmer habe tatsächlich viel mehr erspart, sodass ein Vergütungsanspruch nicht bestehe.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 27.08.2021 der Klage des Auftragnehmers gerichtet auf Zahlung einer Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen im Wesentlichen stattgegeben. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien seien die Selbstkosten der Teilleistungen und die damit zusammenhängenden Baustellen-Gemeinkosten als ersparte Aufwendungen zu berücksichtigen. Mit weiteren potentiell ersparten Aufwendungen und etwaigen Füllaufträgen hat sich das Gericht nicht mehr befasst, weil insoweit die Auftraggeberseite darlegungs- und beweisbelastet sei, denn:

Zutreffend habe der Auftraggeber zwar darauf hingewiesen, dass es auf die Urkalkulation des Auftragnehmers rechtlich nicht ankomme, sondern vielmehr die (hypothetisch) tatsächlich ersparten Aufwendungen maßgeblich seien, also wie es sich auf der Baustelle tatsächlich dargestellt hätte. Im Hinblick auf die Beweislastverteilung obliege dem Auftragnehmer allerdings nur eine Erstdarlegung der ersparten Aufwendungen, dem der Auftragnehmer hier aber nachgekommen sei durch Bezugnahme auf die Urkalkulation. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Auftraggebers hätte dieser darauf aufbauend substantiiert Stellung nehmen und alternative Tatsachen beweisen müssen, z.B. höhere ersparte Aufwendungen. Diesbezüglich sei der Auftraggeber beweisfällig geblieben, weshalb der Vergütungsanspruch zuzuerkennen sei.

 

Anmerkung

Die Entscheidung zeigt, dass einer Urkalkulation nicht nur eine betriebswirtschaftliche, sondern auch eine rechtlich erhebliche Bedeutung zukommen kann, selbst wenn es für die Vergütung nach der freien Kündigung auf die tatsächlichen Kosten ankommt. Übrigens gelten diese Gedanken sinngemäß auch für das Nachtragswesen – auch dort kommt es auf die tatsächlichen Kosten an, die im Zweifel zunächst einmal substantiiert dargelegt werden müssen – und zwar seit Einführung des neuen Bauvertragsrechts in jedem Fall beim BGB-Vertrag und angesichts der neuen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil 08.08.2019 VII ZR 34/18) auch beim VOB-Vertrag, der nicht mehr automatisch dem sog. Preisfortschreibungsmodell folgt. Auf den Punkt gebracht: Urkalkulation hilft!

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