30 Jahre Haftung bei Arglist und Organisationsverschulden – Neuigkeiten

BGH, Urteil vom 11.10.2007 — Aktenzeichen: VII ZR 99/06

Leitsatz
Der Werkunternehmer, der ein Bauwerk arbeitsteilig (mit Nachunternehmern) herstellen lässt, muss die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob das Bauwerk bei Ablieferung mangelfrei ist. Tut er dies nicht, so verjähren Gewährleistungsansprüche — wie bei arglistigem Verschweigen eines Mangels — erst nach 30 Jahren, wenn die Mängel bei richtiger Organisation entdeckt worden wären.

Bei dieser Organisationspflicht handelt es sich rechtlich um eine Obliegenheit, so dass ein Organisationsverschulden von Nachunternehmern dem Werkunternehmer nicht zugerechnet wird, er dafür also nicht wie für eigenes Verschulden einstehen muss.

Die Auswahl eines zuverlässigen Nachunternehmers reicht zur Erfüllung der Obliegenheit in Bereichen aus, in denen der Werkunternehmer selbst nicht sachkundig ist.

Sachverhalt
Der Bauunternehmer (AN) hat eine Turnhalle zu errichten. Für das Dach aus Nagelplattenbindern vergibt der AN den Auftrag an einen Nachunternehmer, der für das gewählte System eine Zulassung hat und auch die Statik macht. Der Bauunternehmer überwacht nicht die Herstellung der Binder und macht auch keine Endkontrolle bei Abnahme. 17 Jahre später stürzt die Halle ein, und zwar deswegen, weil die Binder vom Nachunternehmer abweichend von der Statik hergestellt worden waren. Der Eigentümer der Turnhalle verlangt Schadensersatz vom Bauunternehmer mit der Begründung: Die fünfjährige Gewährleistungsfrist sei zwar um. Aber dennoch hafte der Bauunternehmer, weil er seine Organisationspflicht verletzt habe. Er hätte, so die Kläger, die Übereinstimmung von Statik und Ausführung der Binder überprüfen müssen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilen den Bauunternehmer zu Schadensersatz.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) weist die Klage ab. Der Bauunternehmer hat keine Organisationspflichten verletzt, die zur Folge hätten, dass er 30 Jahre haften muss.

Zwar hält der BGH daran fest, dass dies bei besonders schwerwiegenden Fällen möglich ist, stellt aber auch zwei Dinge klar: Zum einen muss der Bauunternehmer nicht für ein Organisationsverschulden oder eine Arglist des ordentlich ausgewählten Nachunternehmers einstehen. Die Tatsache, dass dort die Abweichungen von der Statik erkannt worden sein mögen oder sich jedenfalls niemand um eine Prüfung gekümmert hat, werden hier nicht zu Lasten des Bauunternehmers als Auftraggeber des Daches gewertet, weil er selbst nicht in diesem Bereich spezielle Fachkunde hat.

Er genügt seiner eigenen Pflicht zur Organisation des Betriebes schon dann, wenn er in einem solchen Fall ein qualifiziertes Unternehmen auswählt.

Anmerkungen

Zur 30-jährigen Gewährleistungsfrist geistern interessante Ansichten durch die Praxis.

So ist oft zu hören „Verdeckter Mangel — 30 Jahre Gewähr“. Das ist allerdings falsch. Die Gewährleistungsfrist beträgt nach dem Gesetz fünf Jahre ab Abnahme, und zwar unabhängig davon, ob der Mangel offen zutage liegt oder ob er verdeckt ist.

Um zu einer längeren Frist zu kommen, muss man schon den Grundsatz der Arglist bemühen. Für arglistig verschwiegene Mängel haftet man 30 Jahre bzw. nach neuem Recht 10 Jahre. Der Paradefall ist dafür, dass der Auftragnehmer seinen Mangel erkannt hat, aber nichts sagt. Das ist auszudehnen auf Fälle, in denen der „Chef“ lieber gar nicht erst kommt und guckt, damit er sein Gewissen nicht belasten muss.

Was hat aber das Organisationsverschulden damit zu tun? Ganz einfach. Meistens kann man die Arglist direkt nicht nachweisen. Besonders dann nicht, wenn die Arbeiten auf viele Köpfe verteilt sind. Daher gibt es den Grundsatz, dass der Bauunternehmer eine Organisation schaffen muss, um die Mangelfreiheit des Werkes in Grenzen auch kontrollieren zu können (er darf sich also nicht absichtlich blind machen). Beispielsweise muss er einen Bauleiter einsetzen.

Aber dann hört es auch auf. Der Bauunternehmer muss also nicht 30 Jahre haften, wenn der Bauleiter schlampig arbeitet oder er selbst zwar eine Begehung durchführt, aber einen schwerwiegenden Mangel versehentlich nicht sieht. Und er muss auch nicht, wie man an dieser Entscheidung sieht, eigens für das Gewerk eines Nachunternehmers noch Fachpersonal zu dessen Kontrolle einstellen, wenn er das selbst nicht kann.

Die Voraussetzungen für die 30-jährige Haftung sind also viel enger, als zumeist gedacht wird. Auch niedere Gerichte gehen ganz gerne locker mit dieser Figur um. Daher ist es wichtig, von Anfang an in einem solchen Fall fachlich gut vertreten zu sein, um den Gerichten deutlich zu machen, was der BGH mit seiner Rechtsprechung meint und was nicht. Denn gerade diese Rechtsprechung wird oft mißverstanden.

Obwohl nach heutigem Schuldrecht die Arglisthaftung auf 10 Jahre begrenzt ist, werden uns die Altfälle noch eine Weile erhalten bleiben, weil es naturgemäß meistens um Verträge geht, die lange vor dem 1.1.2002 (Neues Schuldrecht) abgeschlossen worden sind.

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Dr. Harald Scholz

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