Zur Haftung des Betreuers gegenüber Rentenversicherungsträgern
BSG, Urteil vom 14.12.2016 — Aktenzeichen: B 13 R 9/16 R
Leitsatz
Ein gerichtlich bestellter Betreuer, der in Unkenntnis des Todes des Betreuten über die zu Unrecht gezahlte Rente zugunsten Dritter verfügt, kann vom Rentenversicherungsträger nicht auf Erstattung in Anspruch genommen werden.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um die Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Rentenleistung. Der Versicherte bezog von der Beklagten Altersrente. Die Klägerin war seit Juni 2010 gerichtlich bestellte Betreuerin des Versicherten mit dem Aufgabenkreis u.a. der Vermögenssorge. Am 28.10.2010 verstarb der Versicherte. Am 29.10.2010 ging die Rente für den Monat November 2010 auf dem Konto des Versicherten ein, das sich zuvor mit 2943,40 Euro im Soll befunden hatte. Noch am selben Tag überwies die Klägerin von diesem Konto Beträge an Dritte. Die Klägerin erfuhr am 1.11.2010 vom Tod des Versicherten und teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom selben Tag mit. Nach Anhörung forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid die letzte Rentenzahlung zurück. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück. Hiergegen geht die Klägerin nun vor. Der Klage der Betreuerin ist in den Vorinstanzen statt gegeben worden.
Entscheidung
Das BSG bestätigt die Entscheidung der Vorinstanzen. Diese haben im Ergebnis zu Recht den Rückforderungsbescheid der Beklagten aufgehoben. Grundsätzlich handelt es sich zwar bei der von der Beklagten gezahlten Altersrente für November 2010 um eine zu Unrecht erbrachte Geldleistung, da der bewilligende Verwaltungsakte sich durch den Tod des Berechtigten erledigt hat. Die Klägerin als Betreuerin kann aber nicht als Empfängerin der zu Unrecht gezahlten Rentenleistung in Anspruch genommen werden. Empfänger von Geldleistungen sind zum einen die Personen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben also jene, die die zu Unrecht erbrachte Rentenleistung vom RV-Träger ohne Einschaltung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs erhalten haben. Daneben zählen zu den Geldleistungsempfängern auch Personen, an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde. Derartige Fallgestaltungen liegen hier in Bezug auf die Klägerin nicht vor, weil sie die Überweisungen zugunsten von Dritten getätigt hat. Die Klägerin kann von der Beklagten auch nicht als Verfügende über die zu Unrecht gezahlte Rentenleistung in Anspruch genommen werden. Die Klägerin war zwar eine Verfügende, die aber trotz der Beendigung der Betreuung durch den Tod aufgrund ihrer Gutgläubigkeit hinsichtlich des Fortbestandes der Betreuungsbefugnis im Zeitpunkt der Überweisungen noch Verfügungsberechtigte war. Die mit den Überweisungen vorgenommenen Verfügungen sind der Klägerin nicht persönlich zurechenbar; denn sie durfte gemäß § 1908i Abs. 1 S. 1, § 1893 Abs. 1 i.V.m. § 1698a Abs. 1 S. 1 BGB über den Tod des Betreuten hinaus gesetzlich berechtigt tätig werden mit der Folge einer „Haftungsfreistellung“. Diese spezielle „Haftungsfreistellung“ für gutgläubig handelnde Betreuer ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 1698a Abs. 1 S. 1 BGB, jedoch bezweckt die Vorschrift eine solche. Sie soll sicherstellen, dass der Betreuer die Geschäfte bei unverschuldeter Unkenntnis über die Beendigung der Betreuung fortführen darf. Der Betreuer wird als gesetzlicher Vertreter des Betreuten bis zum Zeitpunkt der Kenntnis oder des Kennenmüssens der Beendigung der Betreuung geschützt. Er soll keine Nachteile erleiden und insbesondere keine Haftung befürchten müssen, weil er von der Beendigung der Betreuung ohne Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. Ohne diese Bestimmung würde der Betreuer — weil er objektiv betrachtet nicht mehr im Amt ist — gemäß § 179 BGB als sogenannter Vertreter ohne Vertretungsmacht für die noch getätigten Rechtsgeschäfte persönlich einstehen und haften müssen. Sachgründe, diese vom Gesetzgeber gewollte besondere „Haftungsfreistellung“ des gutgläubig und damit gesetzlich geschützten über das Konto des verstorbenen Betreuten verfügenden Betreuers nicht auch auf den Erstattungsanspruch des RV-Trägers nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI zu übertragen, bestehen nicht. Im Gegenteil: Es entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn ein Betreuer, der in Unkenntnis vom Tod des Betreuten im Rahmen seiner gemäß § 1908i Abs. 1 S. 1, § 1893 Abs. 1 i.V.m .§ 1698a Abs. 1 S. 1 BGB fingierten Vertretungsmacht noch gesetzlich erlaubt Verfügungen über dessen Konto vornehmen darf, aber trotz dieser zu seinem Schutz bestehenden speziellen gesetzlichen Ermächtigung dennoch über § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI persönlich zur Erstattung der überzahlten Rentenleistung heranzuziehen wäre. Auch den Erben sind die Verfügungen nicht zuzurechnen, da der Betreuer nicht als gesetzlicher Vertreter der Erben handelt.