Vertragsauslegung: Wann ist eine Bürgschaft zurückzugeben?
BGH, Urteil vom 26.6.2014 — Aktenzeichen: VII ZR 289/12
Die Parteien eines Werkvertrages vereinbaren, dass Nachtragsforderungen durch eine Bürgschaft abgesichert werden können, wenn die Berechtigung der Nachträge streitig ist. Aber wann ist eine solche Bürgschaft herauszugeben? Über diese Frage hatte nun der BGH zu befinden.
Leitsatz
Zur Auslegung einer Vereinbarung über die Stellung einer Sicherheit, die allein der Abwendung eines Zurückbehaltungsrechts dient.
Sachverhalt
Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit Leistungen der „technischen Ausrüstung“ für ein Bauvorhaben. § 10 des Vertrages enthielt folgende Regelung:
„Macht einer der Vertragspartner Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrechte geltend, so ist er verpflichtet, denjenigen Betrag zu beziffern, wegen dessen er das Recht geltend machen will. Der andere Vertragspartner ist in diesem Fall berechtigt, die Geltendmachung des Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung in Höhe des bezifferten Betrages abzuwenden. Sicherheit kann insbesondere durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft geleistet werden.“
Die Beklagte ist der Auffassung, einen Anspruch aus zwei Nachträgen über ca. 900.000,00 € zu haben und verlangt über diesen Betrag eine Bürgschaft. Die Klägerin übergibt eine solche Bürgschaft. Sie stellt klar, dass die Nachtragsansprüche detaillierter begründet werden müssten als bisher erfolgt.
Nach Ende des Vertragsverhältnisses verlangt die Klägerin von der Beklagten die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde und begehrt im Wege der Zwischenfeststellungsklage die Feststellung, dass der Beklagten aus den Nachtragsangeboten kein Honorar zusteht.
Das Landgericht und das OLG weisen die Klage ab. Der Klägerin stehe aus der Sicherungsabrede der Parteien kein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaft zu. Die Sicherungsabrede beinhalte ein Stillhalteabkommen, dass die Beklagte bis zur Klärung in einem der Auftragserfüllung nachfolgenden Verfahren die Nachtragsforderung gegenüber der Klägerin nicht durchsetze. Danach sei der Sicherungszweck bereits deshalb nicht entfallen, weil zwischen den Parteien bisher nicht rechtsverbindlich in einem gesonderten, der Auftragserfüllung nachfolgenden Verfahren geklärt sei, ob die Nachtragsforderungen der Beklagten bestünden. Nach wie vor sei der Bestand der Nachtragsforderungen streitig. Zudem habe die Klägerin ihrer Darlegungslast hinsichtlich des Wegfalls der zu sichernden Nachtragsforderungen nicht genügt habe.
Entscheidung
Diese Entscheidung hebt der Bundesgerichtshof mit klaren Worten auf und verweist die Sache an das OLG zurück.
Zwar obläge die Auslegung der Vereinbarung über die Leistung einer Sicherheit und deren Rückgabe dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung finde nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorlägen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruhe. Hier beruhe das Urteil des OLG aber auf solchen Auslegungsfehlern.
Denn es verstoße gegen den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung, wenn man aus der Sicherungsvereinbarung der Parteien ableiten zu können glaube, die Klägerin könne nach Eintritt der Abrechnungsreife nicht unmittelbar auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde klagen, sondern müsse zunächst in einem gesonderten Verfahren die Berechtigung der Nachtragsforderungen der Beklagten klären lassen. Dies verdopple nur die Kosten und sei weder im Interesse der Klägerin noch der Beklagten.
Zudem habe das OLG die Darlegungs- und Beweislast falsch bewertet. Nicht die Klägerin sondern die Beklagte trage die Beweislast, dass ihr noch ein Anspruch aus den Nachträgen zustehe. Der BGH stellt noch einmal klar: Jede Partei, die eine Rechtsfolge begehrt, trifft die Beweislast für rechtsbegründende Tatsachen; die Gegenpartei trägt die Beweislast für rechtshindernde, rechtshemmende und rechtsvernichtende Tatsachen. Demnach muss die Beklagte die Beweislast tragen, denn sie trägt gegenüber dem Bürgschafts-Herausgabeanspruch die rechtshindernde Einrede vor, einen entsprechenden Vergütungsanspruch zu haben.