Sittenwidrigkeit eines Werkvertrages bei grobem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

Landgericht Gießen, Urteil vom 23.7.2014 — Aktenzeichen: I-S 56/14

Leitsatz
1. Ein Werkvertrag ist bereits dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung.

2. Das gilt auch, wenn sich die Größenordnung des groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung in absoluten Zahlen nur im niedrigen vierstelligen Eurobereich bewegt.

Sachverhalt
Der Kläger beauftragte die Beklagte im Jahr 2011 mit der Durchführung von Werkleistungen. Bereits das Angebot der Beklagten lag über dem ortsüblichen und angemessenen Preis. Der später abgerechnete Werklohn betrug 2.787,78 €. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat festgestellt, dass ortsüblich und angemessen ein Preis in Höhe von 996,03 € gewesen wäre. Der Werklohn hat den Wert der Gegenleistung somit um das 2,79-fache überstiegen. Das Amtsgericht Büdingen (Az.: 2 C 549/13) hat die Klage auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Werklohns abgewiesen.

Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.

 

Entscheidung
Das Landgericht Gießen hat der Berufung des Klägers stattgegeben.

Zur Begründung hat es festgestellt, dass gegenseitige Verträge nach § 138 I BGB wucherähnliche Rechtsgeschäfte mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit darstellen, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und ferner mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. In den Fällen, in denen das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob erscheint, kann daraus der Schluss auf die bewusste oder grob fährlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes gezogen werden.

Von einem derart groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zulässt, ist auch bei Werkverträgen bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist, wie der Wert der Gegenleistung.

Praxishinweis
Selbstverständlich ist ein Werkvertrag nicht dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn der Vertragspartner um den überhöhten Preis weiß oder als Fachmann Kenntnis besitzen müsste. Keinesfalls sollte das Recht des Auftraggebers ausgeschränkt werden, ein beliebiges Unternehmen zu beauftragen.

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