Nochmals: Ersatzfähiger Rentenkürzungsschaden?

BGH, Urteil vom 20.12.2016 — Aktenzeichen: VI ZR 664/15

Mit Urteil vom 20.12.2016 hat der BGH zur Frage des sog. „Rentenkürzungsschadens“ auf Grundlage des § 77 II 1 Nr. 2a SGB VI Stellung genommen. Ausgangspunkt für das Revisionsverfahren war die Entscheidung des OLG Braunschweig vom 27.10.2015, Az.: 7 U 61/14. Insoweit wird an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen auf die in „Praxis aktuell 11/2016“ bereits veröffentlichte Entscheidung und die damaligen Anmerkungen des Verfassers verwiesen. Der BGH bestätigt im Ergebnis das Urteil des OLG Braunschweig und die darin ausgesprochene Klageabweisung, stützt diese indes auf eine andere Begründung und lässt eine Kernfrage — unter Hinweis auf die hierzu bestehende vorrangige Zuständigkeit der Sozialgerichte — offen.

Ebenso wie das OLG Braunschweig stellt der BGH fest, dass der Kläger im konkreten Fall bzgl. des geltend gemachten Rentenkürzungsschadens nicht anspruchsberechtigt sei, da kongruente Schadensersatzansprüche gem. § 116 SGB X übergegangen seien. Während das OLG einen Forderungsübergang etwaiger Ansprüche auf den Rentenversicherungsträger (RV) angenommen hatte, erteilt der BGH diesem Ansatz eine Absage, bejaht aber im konkreten Fall einen Forderungsübergang nach § 116 SGB X auf den gesetzlichen Unfallversicherungsträger (UV), weil letzterer dem Kläger — feststehend nach dem Berufungsurteil des OLG — eine lebenslange Verletztenrente gewährt, die in ihrer Höhe die Kürzung der Altersrente übersteigt. Die Verletztenrente sei mit dem Verdienstausfallschaden bzw. dessen Fortsetzung in einem Rentenschaden sachlich und zeitlich kongruent, da sie dem Ausgleich desselben Vermögensnachteils diene.

Ausdrücklich widerspricht der BGH der Auffassung des OLG, die Aktivlegitimation des Klägers scheitere daran, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers hinsichtlich eines Rentenkürzungsschadens nach § 116 SGB X auf den RV in Form eines Anspruchs auf eine Einmalzahlung gem. § 187a II SGB VI übergegangen sei. Insoweit fehle die erforderliche sachliche und zeitliche Kongruenz. Sachlich habe der RV durch die vorzeitige Altersrente keine Sozialleistung erbracht, welche einen etwaigen Rentenkürzungsschaden nach Eintritt in die (Regel-)Altersrente beheben solle. Denn der Schaden des Klägers bestehe gerade darin, dass der RV über die gekürzte Altersrente hinaus keine Leistungen gewähre. Im Übrigen fehle die zeitliche Kongruenz zwischen der vorzeitigen Altersrente und dem erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze eintretenden Rentenkürzungsschaden. Ein Übergang auf den RV nach § 119 SGB X sei nicht gegeben, da hiernach nur Ansprüche auf Ersatz der Pflichtbeiträge auf den RV übergehen.

Ferner stellt der BGH klar, dass die dem Geschädigten durch § 187a II SGB VI höchstpersönliche Möglichkeit, im Wege einer Einmalzahlung einen Rentenkürzungsschaden auszugleichen, weder einen Forderungsübergang nach § 116 SGB X noch nach § 119 SGB X begründe. Im Übrigen habe das OLG zu § 187a II SGB VI nicht festgestellt, dass der Geschädigte (rechtzeitig) von dem dort verankerten Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht habe.

Offen lässt der BGH ausdrücklich, ob generell ein „Rentenkürzungsschaden“ des Geschädigten zu verneinen ist, wenn der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer dem RV sowohl nach § 119 SGB X die entgangenen Beiträge zur Rentenversicherung als auch nach § 116 SGB X die an den Kläger vorzeitig gezahlte Altersrente bis zum Erreichen des Regelaltersgrenze erstattet hat. Zwar sei damit der RV wirtschaftlich so gestellt, als wäre der Geschädigte bis zur Regelaltersgrenze erwerbstätig gewesen. Ein nach § 249 BGB ersatzpflichtiger Schaden könne aber dann nicht verneint werden, wenn nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen der Geschädigte gleichwohl eine Kürzung der Rente im Vergleich zur Vermögenssituation ohne das Schadensereignis hinnehmen müsste. Es sei nicht stets ausgeschlossen, dass beim unmittelbar Geschädigten trotz des Regresses nach den §§ 116, 119 SGB X ein Restschaden hinsichtlich seiner Alterssicherung verbleibe.

Ob eine Kürzung der Altersrente nach § 77 II 1 Nr. 2a SGB VI in derartigen Fällen gerechtfertigt sei, sei nicht zweifelsfrei. Die Zivilgerichte seien allerdings zu einer diesbezüglichen Entscheidung angesichts des Rechtsgedankens des § 118 SGB X nicht berufen, da danach sozialrechtliche Vorfragen den Zivilprozess nicht belasten und deshalb vor den Zivilgerichten grundsätzlich nicht erörtert werden sollten. Eine Aussetzung des Zivilverfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Sozialgerichts sei im konkreten Fall nicht geboten, da unabhängig von der Frage, ob ein Rentenkürzungsschaden überhaupt gegeben sei, im konkreten Fall etwaige Ersatzansprüche des Klägers — wie oben ausgeführt — gem. § 116 SGB X jedenfalls auf den UV übergegangen seien.

Anzumerken ist zum Urteil des BGH, dass damit (derzeit) offen bleibt, ob in den Fällen, in denen der Schädiger/dessen Haftpflichtversicherer das „Rentenkonto“ eines Geschädigten im Wege der Regressleistungen an den RV nach §§ 116, 119 SGB X im Ergebnis genauso stellt, wie es sich ohne das Schadensereignis dargestellt hätte, ein Rentenkürzungsschaden möglich, respektive die Rentenkürzung bei vorzeitigem Rentenbezug nach § 77 II 1 Nr. 2a SGB VI sozialrechtlich zulässig ist. Diese Frage ist durch die Sozialgerichte zu klären. Hier bleiben diesbezügliche Entscheidungen abzuwarten, wobei konkret der Kläger des BGH-Verfahrens hierzu die Sozialgerichte angerufen hat, eine rechtskräftige Entscheidung aber bisher offensichtlich nicht ergangen ist.

Unterstellt, die Sozialgerichte bejahen auf Dauer die Zulässigkeit der Rentenkürzung in diesen Fällen, steht nach dem BGH ein Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger/Haftpflichtversicherer wegen des Rentenkürzungsschadens im Raum. Eine Absage erteilt der BGH der Auffassung, dass in derartigen Fällen immer solche Ersatzansprüche wegen eines Rentenkürzungsschadens nach §§ 116, 119 SGB X auf den RV übergegangen und damit der Aktivlegitimation des Geschädigten entzogen sind.

In Einzelfällen — wie dem vom BGH entschiedenen — kann die Aktivlegitimation gleichwohl an einem Forderungsübergang von Ersatzansprüchen des Bereichs „Verdienstausfallschaden“ nach § 116 SGB X scheitern, sofern ein (anderer) Sozialversicherer lebenslang Rentenzahlungen (z.B. Verletztenrente) gewährt, die der Höhe nach den Rentenkürzungsschaden vollständig auch ab Erreichen der Regelaltersgrenze kompensieren.

image_pdf