Klinik haftet für intraoperative Aufklärungspflichtverletzung bei Nierenentfernung

OLG Hamm, Urteil vom 23.2.2017 — Aktenzeichen: 3 U 122/15

Leitsatz
Stellt sich während der Operation an der Niere eines 8-jährigen Kindes heraus, dass der ursprünglich geplante Eingriff nicht durchführbar ist, kann eine neue Situation vorliegen, die eine neue Aufklärung der sorgeberechtigten Eltern über die zu verändernde Behandlung und ihre hierzu erteilte Einwilligung erfordert.

Sachverhalt
Der im Juli 2004 geborene Kläger litt unter anderem an multiplen Nierengewebsdefekten und einem erweiterten Nierenbeckenkelchsystem, weswegen die linke Niere noch 22 % ihrer Funktion hatte. Nach einem mit den Eltern des Klägers geführten Aufklärungsgespräch wurde der Kläger im Januar 2013 operiert. Bei der Operation sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter geschaffen werden, um die Abflussverhältnisse der linken Niere zu verbessern. Intraoperativ stellte sich heraus, dass die geplante Rekonstruktion aufgrund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich war. Die Operation wurde unterbrochen, eine behandelnde Ärztin schilderte den Kindeseltern die veränderte Situation und empfahl die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Kindeseltern stimmten zu, die Operation wurde fortgesetzt und die linke Niere des Klägers entfernt. Nach der Operation hat der Kläger die Entfernung der linken Niere beanstandet, Aufklärungsmängel geltend gemacht und vom Klinikum und der interoperativ aufklärenden Ärztin Schadensersatz verlangt, unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 €.

Die Klage hatte vor dem OLG Hamm teilweise Erfolg. Dem Kläger wurde aufgrund eines Aufklärungsmangels 12.500,00 € Schmerzensgeld zugesprochen.

Entscheidung
Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die Eltern des Klägers während der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Es habe eine neue Situation vorgelegen, als sich interoperativ herausgestellt hat, dass die ursprünglich geplante Rekonstruktion nicht möglich gewesen ist. Dies habe eine veränderte Behandlung erforderlich gemacht. Diese Situation habe eine neue Aufklärung eine neue Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern des Klägers erfordert. Die interoperativ erfolgte Aufklärung sei defizitär gewesen. Die das aufklärende Gespräch führende Ärztin habe nämlich die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt und die sofortige Nierenentfernung empfohlen.

Diesbezüglich führte der hinzugezogene medizinische Sachverständige aus, dass es nicht zwingend notwendig gewesen sei, die Niere sofort zu entfernen. Alternativ wäre es möglich gewesen, die Operation der Gestalt zu beenden, dass das Nierenbecken verschlossen und die Nieren über eine Nierenhautfistel abgeleitet werde, um danach die weitere Vorgehensweise in Ruhe mit den Eltern zu besprechen. Dabei habe neben der Nierenentfernung auch die Möglichkeit bestanden, später nierenerhaltend zu operieren. Es habe zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Klägers der interoperativen Aufklärung seiner Eltern dahingehend bedurft, dass neben der sofortigen Entfernung der linken Niere auch der Abbruch der Operation mit einer äußeren Harnableitung für eine Übergangszeit möglich gewesen sei. In dieser Übergangszeit hätte dann eine ärztliche Aufklärung, Beratung und eine Entscheidung der Eltern erfolgen können. Angesichts der Tragweite und Bedeutung der Entscheidung zwischen einer Nierenentfernung und einer riskanten und schwierigeren Nierenerhaltungsoperation habe dieses Aufklärungserfordernis eindeutig und unzweifelhaft bestanden. In dieser Situation könne auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern in die sofortige Entfernung der Niere ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die Kindeseltern in der vor der Operation bestehenden Situation ausdrücklich gegen eine Nierenentfernung beim Kläger entschieden haben, ist von einem echten Entscheidungskonflikt der Kindeseltern auszugehen.

Die gebotene Aufklärung ist im vorliegenden Fall daher versäumt worden. Die erteilte Einwilligung der Eltern erachtete das OLG als unwirksam und den Eingriff als rechtswidrig. Angesichts der Vorschädigung der entfernten Niere sei das zu erkannte Schmerzensgeld angemessen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

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