Haftung von Versicherungsmaklern: Sachwalterhaftung des Versicherungsmaklers vs. „Sphärentheorie‟

LG Lübeck 4 O 287/16, Urteil vom 21.10.2020 – Az. 4 O 287/16 und 

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 01.02.2021 – Az. 16 U 135/20

 

Sachverhalt

Die Klägerin vermittelte als Maklerin Finanzdienstleistungsprodukte und Versicherungen. Die Beklagte war als Versicherungsmaklerin für die Klägerin im Jahr 2000 mit dem Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für die Vermittlung von Finanz- und Anlageprodukten bei der Versicherung VR befasst. Ab 2012 vermittelte die Klägerin an Privatkunden (Anleger) Verträge, deren Gegenstand der Ankauf nicht mehr gewünschter Lebensversicherungen (unter Stundung der Kaufpreisforderungen der Anleger) zwecks Anlage des Kapitals war.  Nachfolgend nahmen Anleger, denen die Klägerin entsprechende Anlagen vermittelt hatte, die Klägerin mit der Behauptung einer Falschberatung auf Schadenersatz in Anspruch.  Die VR lehnte eine Deckung innerhalb der bestehenden Vermögensschadenshaftpflichtversicherung ab, da die Vermittlung derartiger Anlageprodukte nicht versichert sei.  Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte ihr den entstandenen Schaden zu ersetzen habe, der aufgrund der „lückenhaften“ Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung entstanden sei bzw. entstehe.

Das Landgericht Lübeck wies die Klage ab. Das Schleswig-Holsteinische OLG wies die nachfolgende Berufung zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen

 

Entscheidung

Das Landgericht begründet die Klageabweisung wie folgt:

  1. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten aus § 63 VVG bestehe nicht. Danach habe ein Versicherungsvermittler nur Schadenersatz zu leisten, wenn durch eine Pflichtverletzung aus §§ 60, 61 VVG dem Versicherungsnehmer ein Schaden entstehe. Der Versicherungsmakler habe die Verpflichtung, den Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen im Zusammenhang mit der Vermittlung eines Versicherungsvertrages zu befragen und zu beraten. Dass die Beklagte bei der Vermittlung im Jahre 2000 gegen diese Pflichten verstoßen habe, sei nicht ersichtlich.
  2. Der Versicherungsmakler schulde außerdem die Beschaffung und Aufrechterhaltung eines bestmöglichen individuellen Versicherungsschutzes und eine Beratung und Betreuung des Versicherungsstandes während der Vertragslaufzeit. Dabei stelle die Bedarfsermittlung die Hauptleistungspflicht des Maklers dar. Eine ständige aktive und unaufgeforderte Betreuung des Kunden müsse hingegen von den Parteien zuvor durch eine Regelung festgelegt werden. Ob insoweit eine Pflicht zur ungefragten Überprüfung des Versicherungsinteresses bestehe, sei anhand der „Sphärentheorie“ zu beurteilen: Wenn eine Veränderung innerhalb der Sphäre des Versicherungsnehmers entstehe, wie z.B. eine Neuanschaffung oder Werterhöhungen der versicherten Ware, könne und müsse der Makler nur dann tätig werden, wenn der Kunde ihn darüber in Kenntnis setze. Bei Änderungen außerhalb der Sphäre des Kunden, wie z.B. Änderungen der Geschäfts- oder Rechtslage, müsse der Makler von sich aus tätig werden. Dafür müsse es jedoch einen konkreten Anlass geben. In diesem Fall stelle die Angebotserweiterung, die die Klägerin im Jahre 2012 bei den von ihr vermittelten Finanzprodukten vorgenommen habe, eine Änderung innerhalb der Sphäre der Klägerin dar, sodass die Beklagte erst auf Initiative der Klägerin hätte tätig werden müssen.
  3. Eine ständige (präventive) Überprüfung, Beobachtung und Kenntnis des Maklers, hier also der Beklagten, über für den Vertrieb bei der Klägerin in Frage kommende Produkte oder Produktarten sei für den betreuenden Versicherungsmakler unmöglich zu erbringen. Es läge in der Natur der Sache, dass ständig neuartige Produkte auf den Markt kämen. So auch im Bereich der Versicherungs- und Finanzprodukte.
  4. Da die Klägerin der Beklagten keinen Hinweis auf die Produkterweiterung habe zukommen lassen, sei der Beklagten keine Pflichtverletzung anzulasten.

Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin mit folgenden weiteren Begründungsansätzen zurück.

  1. Ein Anspruch nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bestehe nur, wenn der Schuldner (in diesem Fall: die Beklagte) eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis (als Versicherungsmaklerin) verletzt habe. Wenn dies der Fall wäre, könne der Gläubiger (hier: die Klägerin) den Ersatz des dadurch entstandenen Schadens verlangen.
  2. Eine Pflichtverletzung der Beklagten läge jedoch nicht vor.
  3. Der Senat betont, dass die Pflichten eines Versicherungsmaklers weitgehend seien. Aufgrund dieser umfassenden Pflichten könne der Versicherungsmakler als treuhänderähnlicher Sachwalter des Versicherungsnehmers bezeichnet werden.
  4. Die „Sphären-Rechtsprechung“ ergänze allerdings dabei sachgerecht die Sachwalter-Rechtsprechung des BGH.
    Bei Veränderungen in der Sphäre des Versicherungsnehmers (z.B. Neuanschaffungen und Werterhöhungen oder wie hier vorliegend die Änderung im Umfang der vertriebenen Produkte) müsse der Makler nur auf Initiative des Kunden hin tätig werden. Die vollständigen Produktpaletten aller ihrer Kunden zu kennen und ständig zu überprüfen, ob sie noch dem bestehenden Versicherungsschutz unterfielen, würde den Rahmen des Pflichtenkanons sprengen und einen Versicherungsmakler maßlos überfordern. Dem könne auch die Beklagte offensichtlich nicht gerecht werden.

Die von der Klägerin nachfolgend eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision wurde durch Beschluss des BGH vom 25.11.2021 zurückgewiesen.

[ähnlich auch OLG München, Urteil vom 02.04.2020 – Az. 14 U 1296/18]

 

 

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