Aufklärung über seltene Risiken
OLG Bremen, Urteil vom 2.4.2015 — Aktenzeichen: 5 U 12/14
Sachverhalt
Der Kläger befand sich im Jahr 2010 in stationärer Behandlung beim beklagten Klinikträger. Durch den Beklagten zu 2) wurden dort eine Aneurysmaresektion und eine Rohrprothesenimplantation durchgeführt. Die Aufklärung war durch eine Fachärztin für Chirurgie vorgenommen worden.
Der Kläger litt nach der Operation an einer postoperativen spinalen Ischämie in Höhe des 8. Beckenwirbelknochens. Beide Beine waren gelähmt, zudem war der Kläger inkontinent.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da keine Behandlungsfehler gegeben seien. Auch eine unzureichende Aufklärung sei nicht gegeben, da nach den Ausführungen des Sachverständigen weder eine Aufklärung über die Nichtvornahme von Präventionsmaßnahmen noch über das Risiko einer postoperativ auftretenden Ischämie notwendig gewesen seien. Die Ischämie sei keine vorhersehbare oder typische Komplikation.
Entscheidung
Das OLG Bremen wies die Berufung des Klägers zurück, der sein Vorbringen in zweiter Instanz nur noch auf eine Aufklärungspflichtverletzung stützte. .
Das OLG bestätigte im Anschluss an die zugrunde liegende BGH-Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 06.07.2010, Az. VI ZR 198/09, NJW 2010, 3230), dass auch über seltene, sogar sehr seltene Risiken aufgeklärt werden müsse, wenn deren Realisierung die Lebensführung des Patienten schwer belasten würde und die entsprechenden Risiken trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend seien. So lag es im vorliegenden Fall mit einer Risikowahrscheinlichkeit von 0,1 %, dass bei dem durchgeführten Aorteneingriff eine postoperative spinale Ischämie eintritt.
Die Aufklärungsrüge und die Berufung scheiterten dennoch. Zwar schloss sich der Senat nicht der Auffassung des Sachverständigen an, der nach wie vor von einer hinreichenden Aufklärung ausging. Dennoch nahm der Senat an, dass die durchgeführten Eingriffe jedenfalls von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt waren. Für die mutmaßliche Einwilligung sei nicht entscheidend, was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre. Es bedarf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls, wobei maßgebend auch der Leidensdruck, die Risikobereitschaft des Patienten, die Dringlichkeit des Eingriffs und die Erwartung eines umfassend aufgeklärten Patienten vor dem Eingriff sind. Die Darlegung des Klägers erschien dem Senat vor diesem Hintergrund nicht plausibel; der Senat zeigte sich überzeugt, dass der Kläger auch bei vollständiger und umfassender Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte. Denn die Indikation zur Operation war gegeben. Alternativen gab es nicht. Das Risiko, dass die Bauchaorta bei der vorgegebenen Größe platzt, lag bei etwa 10 %, wobei das Risiko, beim Platzen der Aorta zu versterben, bei 50 % liegt. Das Risiko der spinalen Ischämie fiel hiergegen nicht mehr abschreckend ins Gewicht. Nachvollziehbare Gründe, sich gegen die Operation in Kenntnis des Ischämierisikos zu entscheiden, konnte der Kläger nicht darlegen.