Kündigungsrecht des Auftraggebers bei Insolvenz des Auftragnehmers?

OLG Frankfurt, Urteil vom 16.3.2015 — Aktenzeichen: 1 U 38/14

Leitsatz
§ 8 Abs. 2 VOB/B ist gem. § 119 InsO unwirksam.

Sachverhalt
Der Auftraggeber(AG) nimmt den Bürgen aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch, nachdem der Auftragnehmer(AN) in die Insolvenz gerät und die Arbeiten einstellt. Als der AG dies erfährt, kündigt er gegenüber dem AN sofort unter Verweis auf § 8 Abs. 2 VOB/B den Vertrag und vergibt die Arbeiten anderweitig. Der Bürge ist der Meinung, der Vertrag sei nicht wirksam gekündigt worden, der AG hätte den AN auf Erfüllung des Bauvertrages in Anspruch nehmen müssen. Die erste Instanz gibt dem AG Recht und verurteilt den Bürgen.

Entscheidung
Das OLG hebt die Entscheidung auf und gibt dem Bürgen Recht. Es sieht in dem Kündigungsrecht gem. § 8 Abs. 2 VOB/B einen Verstoß gegen § 119 InsO. Danach solle die Wahlfreiheit des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO, den Vertrag zu erfüllen oder zu kündigen, geschützt werden. Diese Wahlfreiheit soll im Ergebnis die Masse schützen. Der Insolvenzverwalter soll die Wahl haben, günstige Verträge erfüllen zu können. Diese Wahl werde aber verhindert, wenn der AG wegen der Insolvenz gem. § 8 Abs. 2 VOB/B kündigen könne. Dann könne der Insolvenzverwalter nicht mehr entscheiden. Außerdem stünde diesem Schutzzweck die Schadensersatzverpflichtung gem. § 8 Abs. 2 VOB/B entgegen.

Ob diese Entscheidung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Der Baurechtssenat des BGH sah ein solches Kündigungsrecht unter Geltung der Konkursordnung in einer Entscheidung im Jahr 1985 als wirksam an. Gegensätzlich hat der IX. Zivilsenat des BGH im Jahr 2012 zu der Lieferung von Waren entschieden. Die obergerichtliche Rechtsprechung tendiert zu einer Wirksamkeit des § 8 Abs. 2 VOB/B, ist aber — wie diese Entscheidung zeigt — nicht einheitlich. Eine Grundsatzentscheidung des BGH steht noch aus.

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