Bauprozess: Muss sich ein Gericht mit einem Privatgutachen auseinandersetzen?
BGH, Urteil vom 27.1.2010 — Aktenzeichen: VII ZR 97/08
Wird ein dem gerichtlichen Gutachten substanziiert widersprechendes Privatgutachten vorgelegt, muss das Gericht die Streitpunkte dieser Fachleute mit dem gerichtlichen Sachverständigen erörtern und diese Abwägung in den Entscheidungsgründen belegen.
Sachverhalt (gekürzt)
Der Unternehmer klagte auf Bezahlung einer Abschlagsrechnung. Dies verweigerte der Bauherr mit der Begründung, der entsprechende Bautenstand sei nicht erreicht, Mängel lägen vor. Daraufhin stellte der Unternehmer die Arbeiten ein.
Nach Fristsetzung und Fristablauf kündigte der Bauherr den Bauvertrag.
Der Unternehmer klagte nun auf Zahlung restlichen Werklohns. Der Bauherr beantragte die Klage abzuweisen und trug u.a. vor, es seien nur 68,18% der vereinbarten Leistungen erbracht worden.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige ermittelte, dass 89,68% der Leistungen erbracht worden seien. Das Gericht gab der Klage statt und führte zur Begründung aus, der Sachverständige habe „die prozentuale Gewichtung unter Heranziehung der Fachliteratur nach dem Standard des Einfamilienhauses vorgenommen“, seine Ausführungen seien „nachvollziehbar und überzeugend“. Auf das vom Bauherrn vorgelegte Privatgutachten, wonach nur 68,18% der vereinbarten Leistungen erbracht worden seien, ging das OLG nicht ein.
Entscheidung
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin hat der BGH dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, das Berufungsgericht habe das rechtliche Gehör des Bauherrn verletzt, indem es sich nicht mit dem Inhalt des vorgelegten Privatgutachtens auseinandergesetzt habe. Es genüge nicht, dass das OLG den gerichtlichen Sachverständigen angehört und ihm dann mit — so der BGH wörtlich – „Leerformeln“ gefolgt sei. Der mit dem Privatgutachten substanziiert gebrachte Vortrag, dass weitaus weniger Leistungen erbracht worden seien, habe mit dem gerichtlichen Sachverständigen erkennbar richterlich erörtert werden müssen. Vorsorglich hat der BGH noch darauf hingewiesen, dass die Bewertung der erbrachten Leistungen sich bei einem gekündigten Werkvertrag an der vertraglichen Vereinbarung und nicht an Standardliteratur misst.
Praxishinweis
Die Entscheidung zeigt, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit Sachverständigengutachten und deren rechtlicher Bewertung durch das Gericht ist.
In der Praxis lohnt es sich daher oft, Privatgutachten in den Prozess einzubringen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der private Sachverständige eine dem gerichtlichen Sachverständigen mindestens gleichstarke Papierform aufweist. Das vorzulegende Privatgutachten sollte vom Aufbau her dem gerichtlichen entsprechen. Immer häufiger akzeptiert die Rechtsprechung auch die Erstattungsfähigkeit der Kosten vor- und prozessual eingeholter Privatgutachten i.S.d. § 91 Abs. 1 ZPO.