AUB 94, Der Unfallbegriff nach § 1 III und IV Anforderungen an die ärztliche Feststellung i.S.v. § 7 I (1) S. 3
Der Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Invaliditätsentschädigung aus einer Unfallversicherung (AUB 94). Während eines stationären Aufenthalts in einer Reha-Klinik am 14.06.2000 verspürte der Kläger bei Übungen an einem Seilzug, dessen Gewicht auf 15 kg eingestellt war, ein plötzliches Knacken begleitet von einem stechendem Schmerz in der rechten Schulter.
Der Kläger konnte seitdem keine schweren Gegenstände mehr heben. Ärztlicherseits wurde im Jahre 2002 eine beginnende Arthrose und ein Engpasssyndrom festgestellt.
Der Kläger war der Auffassung, infolge des Ereignisses vom 14.06.2000 stände ihm ein Anspruch wegen Invalidität zu. Infolge des Ereignisses sei bei ihm eine Schultergelenksverletzung aufgetreten. Der Grad seiner Invalidität betrage 25 % eines Armes.
Demgegenüber hat der beklagte Versicherer die Auffassung vertreten, es läge begrifflich weder ein Unfall im Sinn von § 1 III AUB 94 vor, noch eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinn von § 1 IV AUB 94. Darüber hinaus hat der Versicherer neben weiteren Einwendungen die Kausalität zwischen dem angeblichen Unfallereignis und der behaupteten Invalidität bestritten.
Die Entscheidungen
1.
Das LG Essen hat die Klage abgewiesen und ist der Argumentation des Versicherers gefolgt.
1.1.
Nach § 1 III AUB 94 läge ein Unfall nur vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleide. Sei eine Eigenbewegung für die Gesundheitsschädigung verantwortlich, läge gerade keine Einwirkung von außen, sondern ein innerer Vorgang vor. Vorliegend sei es unstreitig zu der Schulterverletzung infolge des Nutzens eines Seilzuges gekommen, mithin gerade durch eine eigene Körperbetätigung und somit nicht durch ein Ereignis von außen.
1.2.
Auch ein Fall des § 1 IV Nr. 1 oder Nr. 2 AUB läge nicht vor. Danach gälte als Unfall auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule
1. ein Gelenk verrenkt werde oder 2. Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen würden.
Insbesondere läge kein Fall nach § 1 IV Nr. 1 AUB vor. Dabei hat das Landgericht Zweifel geäußert, ob nach dem allgemeinen Sprachgebrauch das Schultergelenk anatomisch ein Gelenk an einem Gliedmaß sei. Gließmaßen seien nämlich die Extremitäten, also Arme und Beine. Das Schultergelenk bestände anatomisch aus insgesamt 7 Gelenken, von denen lediglich das Humerus-Gelenk eine Verbindung zum Oberarm aufweise, während die weiteren Gelenke lediglich die Schulterknochen verbänden, die nach allgemeinem Sprachgebrauch dem Rumpf zugerechnet würden. Dass gerade eine Verletzung des Humerus-Gelenks betroffen gewesen sei, habe der Kläger nicht vorgetragen.
Selbst wenn entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch die Schulter den Armen zugerechnet würde, läge ein Unfallereignis im Sinn von § 1 IV AUB nicht vor. Der Kläger habe nicht behauptet, dass das Ereignis am 14.06.2000 zu einem Verrenken eines Schultergelenks geführt habe. Bei dem von ihm vorgetragenen Engpasssyndrom handele es sich um ein Einklemmen eines Muskels zwischen den Knochen, aber gerade nicht um die Diskontinuität zwischen zwei gelenkbildenen Knochen.
2.
Das OLG Hamm hat im Rahmen eines Beschlusses nach § 522 II S. 2 ZPO die Entscheidung für zutreffend erachtet unter Hinweis auf das weitergehende Schlüssigkeitsbedenken, dass die Invalidität nicht binnen 15 Monaten nach dem Ereignis ärztlich festgestellt worden sei (§ 7 I (1) S. 3 AUB).
Das OLG Hamm befasst sich mit verschiedenen vom Kläger zu den Akten gereichten ärztlichen Attesten, die sämtlich keinen Hinweis auf ein Unfallgeschehen und eine dadurch bewirkte Verletzung der rechten Schulter enthielten. Im Hinblick darauf hat das OLG Hamm festgestellt:
„Angesichts dieser Befunde sind keinerlei Anknüpfungstatsachen vorgetragen, aufgrund derer ein vom Kläger beantragtes Sachverständigengutachten eine unfallbedingte Verletzung des Schultergelenks am 14.06.2000 feststellen könnte. Entgegen der Ansicht des Klägers reicht es nicht aus, dass durch ärztliche Bescheinigungen therapierresistente Beschwerden oder auch dauernde Beeinträchtigungen der Beweglichkeit der Schulter festgestellt werden, wenn diese Bescheinigungen keinen Unfallbezug erkennen lassen. Eben sowenig kommt es auf die vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung attestierte Arbeitsunfähigkeit an. Es kann unterstellt werden, dass der Kläger im Bereich der rechten Schulter dauerhaft beeinträchtigt ist. Dass diese Beeinträchtigung jedoch auf einem nirgendwo ärztlich dokumentierten Unfallgeschehen vom 14.06.2000 beruht und nicht, wie von Prof. … ausgeführt, verschleißbedingt ist, wird sich mangels vorgetragener Anknüpfungstatsachen nicht feststellen lassen.“
Praxishinweise
1.
Die Entscheidung stellt zunächst zu Recht darauf ab, dass bei einer die Gesundheitsbeschädigung auslösenden Eigenbewegung der Unfallbegriff nicht erfüllt ist, da kein von außen auf den Körper wirkendes – ungewolltes – Ereignis vorliegt.
Ungeachtet dessen bieten die AUB 94 Versicherungsschutz durch die Fiktion nach § 1 IV AUB, wonach bei unter den dort genannten Voraussetzungen eine erhöhte Kraftanstrengung als Unfall „gilt“.
Ob eine Übung an einem Seilzug mit einem Gewicht von 15 kg eine solche erhöhte Kraftanstrengung darstellt oder nicht bereits wegen des vergleichsweisen geringen Muskeleinsatzes einem normalen Bewegungsablauf des täglichen Lebens darstellt, hat das Landgericht Essen – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – offen gelassen.
Das Landgericht hat Zweifel gehabt, ob das Schultergelenk den Gliedmaßen im Sinn von § 1 IV überhaupt zugerechnet werden kann. Dieses könnte allenfalls noch für das (hier nicht betroffene) Humerus-Gelenk gelten.
Die Entscheidung schärft den Blick für die mitunter schwierigen Abgrenzungsprobleme, die der Unfallbegriff nach § 1 III und IV AUB aufwirft.
2.
Der Beschluss des OLG Hamm verdeutlicht, dass der Versicherungsnehmer (VN) innerhalb der Fristen des § 7 AUB die unfallbedingte Invalidität ärztlich feststellen lassen muss. Allein die Feststellung der Invalidität und die vom Versicherungsnehmer schriftsätzlich behauptete Kausalität reichen nicht. Einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung muss die ärztlicherseits angenommene Ursache der Invalidität und die Art ihrer Auswirkung zu entnehmen sein. Wenn auch an die ärztliche Feststellung im übrigen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (etwa die Angabe eines bestimmten Invaliditätsgrades nicht erforderlich ist), muss die ärztliche Feststellung unabdingbar die Unfallursächlichkeit beinhalten. Bringt der VN innerhalb dieser 15-Monatsfrist diese ärztliche Feststellung nicht bei, hat er den Anspruch nicht schlüssig dargelegt. Diese Anspruchsvoraussetzung wird häufig übersehen, so dass es in manchen Klageverfahren der Einholung eines gerichtlichen Gutachtens nicht bedarf, vielmehr derartige Klagen an der fehlenden Schlüssigkeit scheitern müssen.