§ 844 Abs. 3 BGB hat keinen Einfluss auf alte Sachverhalte

Michael PeusMichael Peus

OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.2020 – 1 U 35/20

zur Übersicht Hinterbliebenengeld, Stand 01/2021

Sachverhalt

Das Hinterbliebenengeld nach § 10 Abs. 3 StVG und § 844 Abs. 3 BGB gilt nur  für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung nach dem 22.07.2017 erfolgte (Artikel 229 § 43 EGBGB).

Für vorangegangene Sachverhalte gab es für nahe Angehörige nur nach der Schockschadenrechtsprechung immaterielle Entschädigung. Das setzte Beeinträchtigungen voraus, die das Maß der normalen und gewöhnlichen Trauer weit übertrafen.

Das OLG Düsseldorf befasste sich nun mit der Frage, ob wegen der Einführung des Hinterbliebenengeldes bei „Altfällen‟ ein Schmerzensgeldanspruch bestehen kann, ohne dass es über die gewöhnliche Trauer hinausgehende psychische Beeinträchtigungen gab. Das OLG Düsseldorf hat dieses Verlangen zutreffend und mit überzeugender Begründung zurückgewiesen.

Aus der Entscheidung:

 

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert eine (zurechenbare) Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die hinreichende Gewissheit besteht, dass die psychisch bedingte Gesundheitsschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre. Sogenannte Schockschäden, d.h. psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes naher Angehöriger, sind dabei nur als Gesundheitsverletzung anzusehen, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (BGH, Urteil vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12). Gesundheitsbeeinträchtigungen von solchem Ausmaß sind jedoch – auch in der Berufungsbegründung – nicht dargelegt.

b) (…)

Soweit die Klägerin in der Berufung die Auffassung vertritt, nach Einführung des § 844 Abs. 3 BGB könne es beim Verlust eines nahen Angehörigen auf eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung nicht ankommen, teilt der Senat diese Ansicht nicht.

Zu beachten ist zunächst, dass es sich beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld sich nicht um einen Schmerzensgeldanspruch handelt. Der Gesetzgeber hatte die Einführung eines allgemeinen Angehörigenschmerzensgeldes anlässlich der Schadenrechtsreform zum 01.08.2002 (2. Schadenrechtsänderungsgesetz v. 25.07.2002, BGBl I 2002, 2674) ausdrücklich abgelehnt (Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 844 BGB Rn. 79 m.w.N.).

Von dieser Linie wurde mit der Einführung des Hinterbliebenengeldes (begrifflich daher nicht: Hinterbliebenenschmerzensgeld, Trauerschmerzensgeld oder Angehörigenschmerzensgeld) auch nicht abgewichen. Die infolge einer fremdverursachten Tötung erlittene Trauer und das seelische Leid eines Hinterbliebenen wurde vom bis zum 22.07.2017 geltenden Recht als entschädigungslos hinzunehmendes Schicksal angesehen (BT-Drs. 18/11397, S. 8). Psychische Belastungen, denen Angehörige durch das Miterleben von Leidensweg und Tod eines Familienmitgliedes ausgesetzt sind, rechtfertigten nur im Ausnahmefall ein Schmerzensgeld. Angehörige, die anlässlich eines Unfalles einen sogenannten Schock- oder Fernwirkungsschaden erleiden, sind zwar nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar verletzt, haben aber nur unter den engen Voraussetzungen, die der Bundesgerichtshof herausgearbeitet hat, Ansprüche aus eigenem Recht (vgl. Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, vor § 249 BGB Rn. 123 ff. m.w.N.).

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Haftungsprivileg nach SGB sperrt Hinterbliebenengeld (LG Mainz)

Michael PeusMichael Peus

LG Mainz im Urteil vom 02.09.2020 – 5 O 249/19
[ vergleichbar LG Koblenz ]

 

Leitsatz (nicht amtlich)

Nach dem LG Koblenz im Urteil vom 24.04.2020, Az. 12 O 137/19, bestätigt auch das LG Mainz, dass bei einem Arbeitsunfall ein Anspruch der Hinterbliebenen auf Hinterbliebenengeld (§ 10 Abs. 3 StVG oder § 844 Abs. 3 BGB ) nach dem SGB gesperrt ist.

Sachverhalt

Der Sohn der Kläger stirbt bei einem Verkehrsunfall, an dem er als Beifahrer in einem Sprinter beteiligt war. Gefahren wurde der Sprinter einerseits auf einem Arbeitsweg und andererseits von einem Arbeitskollegen, der den Verkehrsunfall alleine verursachte.

Entscheidung

Ein Näheverhältnis der Eltern zum Sohn war unproblematisch. Einerseits wird es gesetzlich vermutet, andererseits wurde es auch konkret gelebt.

Die Eltern hatten dennoch keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld.

1. Relevant ist § 105 SGB VII:

„Diese Norm regelt die Haftungsbeschränkung bei der Geltendmachung von Ansprüchen des Geschädigten, seiner Angehörigen und Hinterbliebenen gegenüber anderen Betriebsangehörigen. Der § 105 SGB VII schließt alle Ansprüche der vorgenannten Personen aus, die auf Ersatz des Personenschadens gerichtet sind (vgl. BGH, VI ZR 55/06). Die Haftung ist auf Vorsatz beschränkt.‟

2. Die Voraussetzung der Norm „versicherte Tätigkeit‟ war gegeben:

„Der Haftungsausschluss setzt voraus, dass es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII handelt, das heißt ein Unfall, der in Folge einer versicherten Tätigkeit passiert. Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Der Beklagte zu 3 war gemeinsam mit dem Verstorbenen auf dem Rückweg zur Firma des Beklagten zu 2.‟

3. Das sperrt auch das Hinterbliebenengeld:

„Die Haftungsbeschränkung der §§ 104 ff. SGB VII erstreckt sich auch auf das Hinterbliebenengeld aus § 844 Abs. 3 BGB (Burmann/Hess/Hühnermann/Jahnke BGB, § 844 Randnummer 103). Dies deshalb, da nach herrschender Meinung auch das Hinterbliebenengeld dem Normzweck der §§ 104 ff. unterfällt, Auseinandersetzungen und Verschulden des Arbeitgebers und Mitverschulden des Arbeitnehmers zu vermeiden. Eine solche Auseinandersetzung würde bei tödlichen Arbeitsunfällen dann zwischen dem Arbeitgeber und den Hinterbliebenen ausgetragen (erf. K/Rolfs SGB VII, § 104 Randnummer 15). Die Haftungsbegrenzung dient dem Schutz des Betriebsfriedens und bindet die Hinterbliebenen mit ein. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz vor Auseinandersetzungen und Konflikten hat den Hintergrund, dass neben der Frage des Verschuldens des Schädigers, das im vorliegenden Fall fest steht, auch ein Mitverschulden des Getöteten diskutiert werden müsste, was vorliegend seitens der Beklagten im Hinblick auf das fehlende Anschnallen des Verstorbenen auch eingewandt wird. Die Auseinandersetzung mit dem Mitverschulden des Geschädigten hat der Gesetzgeber sowohl für den Fall, dass eine Verletzung vorliegt, als auch bei tödlichen Unfällen, vermeiden wollen.‟

Anmerkung:

In einer vergleichbaren Konstellation hat das LG Koblenz für die Hinterbliebenen eines Wie-Beschäftigten ebenfalls Ansprüche auf Hinterbliebenengeld verneint.

 

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Haftungsprivileg nach SGB sperrt Hinterbliebenengeld

Michael PeusMichael Peus

LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[ aktualisiert 13.01.2021: vergleichbar mit LG Mainz ]

 

Leitsatz (nicht amtlich)

Hinterbliebene einer „Wie-Beschäftigten‟ haben ohne Gesundheitsbeeinträchtigung keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB.

Sachverhalt

Die Klägerin war Schwiegermutter einer Verstorbenen.

Die Verstorbene half mit ihrem Ehemann bei der Errichtung des Weidezauns. Der Beklagte zu 1) war damit beschäftigt, mittels der am Traktor befestigten Greifschaufel Pfahle ins Erdreich zu versenken. Die Verstorbenehalf ihm dabei, indem sie sich im Bereich des jeweils zu versenkenden Pfahls aufhielt und diesen bis zum „Runterdrücken‟ durch die Greifschaufel festhielt. Der Ehemann der verstorbenen koordinierte die Arbeiten. Als der Beklagte zu 1) gerade ansetzte, den zweiten Pfahl ins Erdreich zu drücken, löste sich die Greifschaufel des Traktors aus ihrer Verankerung, kippte nach vorne weg und fiel auf die Verstorbene. Sie wurde im Brustbereich getroffen, erlitt eine Zertrümmerung des gesamten Brustkorbes und verstarb an den Folgen ihrer Verletzungen. Gegen den Beklagten zu 1) wurde am 25.07.2018 ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung erlassen. Der Strafbefehl ist rechtskräftig. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Unfall als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall anerkannt.

Die Klägerin verlangt nun Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB.

Entscheidungsgründe

Ein Anspruch der Schwiegermutter auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB besteht nicht.

  1. Die Verstorbene erlitt einen entsprechenden Arbeitsunfall. Denn sie war als „Wie-Beschäftigte‟ iSv § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII tätig, als sie die tödliche Verletzung erlitt.
  2. Deshalb sind die Ansprüche aufgrund des Haftungsausschlusses gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des § 105 Abs. 1 SGB VII umfasst der Haftungsausschluss alle Ansprüche des Versicherten sowie seiner Angehörigen und Hinterbliebenen aus Personenschäden. Das sind alle Schäden, die durch die Verletzung oder Tötung des Versicherten verursacht worden sind.
  3. Es gilt auch keine Ausnahme, weil der Sinn und Zweck der Privilegierungstatbestände der §§ 104, 105 SGB VII (Schutz des Betriebsfriedens) bei tödlichen Arbeitsunfällen niemals greifen könne, da sich in dem Fall keine zwei Betriebsmitglieder gegenüber stünden.
    1. Zunächst führt die Nichterreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks nicht automatisch zur Unanwendbarkeit einer Vorschrift. Dies gilt hier insbesondere deshalb, da die Klägerin als Hinterbliebene ausdrücklich Regelungsadressatin ist. Die §§ 104, 105 SGB VII regeln ausdrücklich, dass die „Versicherten desselben Betriebs‟, aber auch deren Angehörige und Hinterbliebene die Haftungsbeschränkung des Schädigers gegen sich gelten lassen müssen. Das Gesetz geht bereits vom Wortlaut her von der Konstellation aus, in der es zu einem Todesfall kommt. Die ausdrückliche Erwähnung der Hinterbliebenen spricht daher gerade dafür, dass auch bei tödlichen Unfällen Konfliktsituationen vermieden werden sollen, obwohl sich in diesen Fällen naturgemäß nicht Betriebsangehörige sondern der Schädiger und der Hinterbliebene gegenüber stehen. Die Haftungsbegrenzungen dienen somit vordergründig dem Schutz des Betriebsfriedens. Sie binden allerdings auch die Hinterbliebenen hierin mit ein. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz vor Auseinandersetzungen und Konflikten hat den Hintergrund, dass neben der Frage des Verschuldens des Schädigers auch ein Mitverschulden des Getöteten diskutiert werden muss. Diese belastende Auseinandersetzung mit dem Mitverschulden des Geschädigten hat der Gesetzgeber offensichtlich sowohl für den Fall, dass eine Verletzung vorliegt als auch bei tödlichen Unfällen vermeiden wollen. Die ausdrückliche Einbeziehung der Hinterbliebenen manifestiert den Wunsch des Gesetzgebers, auch diesen die Befassung mit dem Mitverschulden des Verstorbenen zu ersparen.
    2. Dass der BGH den Schadenersatzanspruch eines Angehörigen, der einen Schockschaden erlitten hat, nicht der Haftungsprivilegierung der § 104 SGB VII ff. unterfallen ließ , steht dem nicht entgegen. Denn dies beruht auf dem Umstand, dass er bei einem Schockschaden in einem eigenen Recht verletzt worden sei. Diese Erwägung trifft auf das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB nicht zu.

zur Übersicht Stand 10/2020

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Unfall bei Sonntagsparziergang kann Arbeitsunfall sein.

SG Düsseldorf, Urteil vom 20.6.2017 — Aktenzeichen: S 6 U 545/14

Sachverhalt
Ein 60-jähriger Arbeitnehmer befand sich in einer stationären Rehabilitationsmaßnahe u.a. zur Gewichtsreduktion. Der Kläger war während dieser Maßnahme bei einem sonntäglichen Sparziergang beim Überqueren eines Fußgängerüberwegs auf dem Weg zum Kurplatz von einem Pkw erfasst und verletzt worden.

Er erhob daraufhin Anspruch auf Versicherungsleistung aus der Berufsgenossenschaft als gesetzliche Unfallversicherung. Er ist der Ansicht, dass er mit dem Sparziergang seiner Verpflichtung zur aktiven Mitarbeit bei der Gewichtsreduzierung habe nachkommen wollen. Ein Arbeitsunfall sei gegeben.

Die Berufsgenossenschaft lehnte die Zahlung ab und verwies darauf, dass es sich um eine rein private, auf eigene Gefahr betriebene Tätigkeit gehandelt habe. Sie sei nicht ärztlich verordnet gewesen und stehe in keinem Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme des Klägers. Der Arbeitnehmer setzte nach Erhalt eines ablehnenden Bescheides der Berufsgenossenschaft sein Anspruch gerichtlich durch.

Entscheidung
Das Sozialgericht Düsseldorf folgte der Argumentation des Klägers. Die Richter definierten den Begriff Arbeitsunfall im Urteil mit einer deutlich weiteren Auslegung.

Das SG führte dazu aus: Es bestehe ein innerer Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme. Es schade nicht, dass der Sparziergang in einem therapiefreien Sonntag stattgefunden habe. Es reiche aus, wenn die Tätigkeit geeignet sei, der stationären Behandlung zu dienen. Der Sparziergang sei objektiv kurgerecht. Der Versicherte durfte von seinem Standpunkt auch der Auffassung sein, dass diese Voraussetzung auch vorliegen. Beide Voraussetzungen, sowohl die Geeignetheit als auch eine objektiv kurgerechte Tätigkeit, seien bei dem hier streitgegenständlichen Sparziergang gegeben gewesen. Der Unfall stellt demnach ein Arbeitsunfall dar und berechtigt zur Leistung aus der gesetzlichen Unfallkasse.

Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

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