Das vom Wind zugeschlagene Eisentor

Michael PeusMichael Peus

LG Köln, Urteil vom 31.10.2019 – 16 O 438/18

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Grundsätzlich ist niemand gehalten, andere von Eigenverletzungen abzuhalten.
  2. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liegt nur vor, wenn für einen sachkundig Urteilenden eine Gefahrenlage für Dritte naheliegt.
  3. Es aber keine Vorsorge getroffen werden, wenn die Gefahr für jeden offensichtlich ist.
  4. Besonderheiten des Geschädigten sind entscheidend für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht.
  5. Bestehen besondere Pflichten gegenüber einer bestimmten Person, weitet das nicht allgemein die Pflichten aus.

Sachverhalt
Der Beklagte steuerte ein Auto und bat seine Lebensgefährtin, das Tor zur Hofeinfahrt hinter dem Fahrzeug zu schließen. Während die Lebensgefährtin dies erledigen wollte, wurde das Eisentor von einem Windstoß erfasst. Die Lebensgefährtin fasste reflexartig an die Kante, weshalb ihre Finger beim Zuschlagen des Tores gequetscht wurden.

Wegen der Besonderheiten der Hofeinfahrt kommt es dort vermehrt zu Windstößen. Das Tor war gegen ein Zuschlagen nicht gesondert gesichert. Streitig war, ob die Mutter des Beklagten, körperlich beeinträchtigt durch mehrere Schlaganfälle, bereits einmal von der Tür wegen Windes zurückgedrängt wurde.

Die Lebensgefährtin verklagte den Beklagten auf Schadensersatz und stützte die Inanspruchnahme auf eine vermeintliche Verkehrssicherungspflichtverletzung.

Das Landgericht Köln wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe
Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Denn:

  1. Es ist für jeden offensichtlich, dass eine Torfläche von einem Windstoß erfasst werden kann.
  2. Ein Benutzer der Tür kann sich unproblematisch selbst vor einem Einquetschen der Finger schützen, indem er das Tor an der Fläche oder an dem Griff hält.
  3. Wenn die Tür vom Wind zugeschlagen wird, kann man sich durch einen Schritt heraus auch aus dem Gefahrenbereich entfernen.
  4. Es besteht keine allgemeine Pflicht zum Einbauen eines Türdämpfers oder zur Erteilung von Hinweisen auf die Schwere eines Tores oder dessen „Windanfälligkeit‟.
  5. Selbst wenn der Beklagte gegenüber seiner gesundheitlich beeinträchtigten Mutter erhöht pflichtig sein sollte, erhöhte dies nicht die Pflichten des Beklagten gegenüber der gesunden Klägerin.

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Flohbefall nach Katzensitting: keine Haftung des Tierhalters

Michael PeusMichael Peus

LG Köln, Urteil vom 11.09.2019 – 3 O 331/18

Leitsatz (nicht amtlich)

  1. Katzensitting kann ein reiner Freundschaftsdienst sein.
  2. Flohbefall ist nicht derart ungewöhnlich, dass man zwischen dem Katzensitting und einem anschließenden Flohbefall eine Kausalität unterstellen kann.
  3. Ein Katzensitter geht das Risiko eines Flohbefalls jedenfalls bewusst ein.

Sachverhalt
Die Klägerin durfte die Wohnung des Beklagten während seiner Ortsabwesenheit nutzen und sollte dabei dessen Katze aufpassen. Nach seiner Rückkehr fuhr sie wieder zu sich nach Hause. Ihre Wohnung wurde dann von Flöhen befallen. Den Beklagten nahm sie auf Schadensersatz in Anspruch mit der (bestrittenen) Behauptung, der Flohbefall sei durch seine Katze verursacht und die Flöhe müsse sie mit ihrem Gepäck in ihre Wohnung transportiert haben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der beklagte Tierhalter hafte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

Entscheidungsgründe

  1. Vertragliche Schadensersatzansprüche bestanden nicht. Denn weder für die Nutzung der Wohnung noch für das Sitten der Katze war eine Vergütung vereinbart. Vielmehr handelte es sich um reine Freundschaftsdienste, die sich beide gegenseitig gewährten. Es lag eine Win-Win-Situation vor. Die Klägerin durfte die Wohnung nutzen und passte dabei auf die Katze auf.
  2. Die Klägerin blieb beweisfällig für die Behauptung, die Flöhe in ihrer Wohnung stammten von der Katze des Beklagten. Weil Flohbefall nicht ungewöhnlich ist, kann sich eine zeitliche Abfolge auch als Zufall darstellen. Das Landgericht konnte sich keine sichere Überzeugung bilden, dass die Katze des Beklagten für den Flohbefall ursächlich gewesen wäre.
  3. Selbst wenn die Flöhe aber von der Katze stammen würden, sei sie dieses Risiko bewusst eingegangen, weshalb sie ebenfalls keine Schadensersatzansprüche geltend machen könne.

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Verkehrssicherungspflichten in Kirchengebäuden

Michael PeusMichael Peus

Urteil des LG Freiburg im Breisgau, nicht veröffentlicht, SCHLÜNDER: 589-2019
rechtskräftig nach Berufungsrücknahme nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch das OLG Karlsruhe

Leitsatz (nicht amtlich):
1. Bei Ungereimtheiten im Sachvortrag kommt die Bildung einer sicheren Überzeugung des Gerichts zugunsten einer Partei nicht in Betracht, wenn sich die Gegenseite nur mit Nichtwissen erklären kann.
2. Die Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden. Entscheidend ist immer, womit der Verkehr auch rechnen muss.
3. In Kirchengebäuden gelten naturgemäß Besonderheiten.

Sachverhalt
Die Klägerin behauptete, in einem Kirchengebäude gestürzt zu sein, nachdem sie bei gelegentlichem Aufsuchen des Gebäudes zwecks einer Spende einige Stufen übersehen habe.

Entscheidungsgründe
Das LG Freiburg und das OLG Karlsruhe im Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO konnten sich zwar schon keine sichere Überzeugung verschaffen, dass der Unfallablauf sich so zugetragen habe, wie die Klägerin behauptete.

Weiter führten die Gerichte aber aus, dass in Kirchengebäuden die Besonderheiten zu berücksichtigen seien. Die Verkehrssicherungspflicht sei nicht mit den Pflichten in einem öffentlichen Kaufhaus zu vergleichen. Vielmehr seien die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der Natur des Gebäudes ergeben.
In bestimmten Bereichen sei mit Stufen zu rechnen. Von dem Verkehrsteilnehmer müsse daher erwartet werden, dass er sich hierauf einstellt und dieses baubedingte Hindernis schadlos überwindet.

Diese Stufen müssten auch nicht leuchtend oder farbig markiert werden; Hinweisschilder seien ebenfalls nicht erforderlich. Denn würde man diese Maßnahmen fordern, wären sie konsequent durchzuführen, also sowohl am Anfang als auch am Ende der Stufen und ggfls. in mehrere Richtungen ausgerichtet. Dies sei mit der Würde des zentralen Ortes der Religionsausübung nicht mehr vereinbar.

In einem Kirchengebäude könne auch keine Beleuchtung erwartet werden, die in Kaufhäusern oder anderen öffentlichen Bereichen gefordert wird. Denn das Gebäude dient der grundgesetzlich geschützten Religionsausübung, weshalb zur Gewährung einer Besinnlichkeit gedämpftes Licht ausreichend ist.

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Haftungsprivileg des § 105 SGB VII, wenn der Privathund mit in den Betrieb gebracht wird? Ja sagt das LAG Hamm.

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 26.06.2019 — Aktenzeichen: 2 Sa 237/19

Tierhalter haften aufgrund der Gefährdungshaftung nach § 833 BGB ohne Verschulden. Was aber ist, wenn ein Mitarbeiter im Einvernehmen mit der Geschäftsführung seinen privaten Hund mit in die Firma nimmt und der Hund einen Kollegen verletzt? Ist der „Kollege Hund dann haftungsprivilegiert‟? Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in diesem Fall die Betriebsbezogenheit bejaht und die Klage abgewiesen, weil die Haftung nach § 105 SGB VII ausgeschlossen ist.

Orientierungssätze
1. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 105 SGB VII ist nach Sinn und Zweck der Haftungsprivilegien des SGB VII weit auszulegen.

2. Für die Haftungsfreistellung ist maßgeblich, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit oder nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb verursacht wurde; die Betriebsbezogenheit entfällt, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und Intention des Schädigers nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft.

3. Das Mitbringen und Halten eines Hundes während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz kann betriebsbezogen sein und zu der Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII führen.

Sachverhalt
Die Klägerin ist Reinigungskraft. Um im Zuge des Feierabends ihre Reinigungsutensilien bei ihrem Arbeitgeber abzugeben, betrat sie das Betriebsgelände. Dort wurde sie von dem Hund ihrer beklagten Kollegin zur Begrüßung angesprungen. Dabei stürzte die Klägerin unglücklich und zog sich diverse Frakturen und Prellungen zu. Der Unfall wurde von der Berufsgenossenschaft als Versicherungsfall anerkannt. Die Beklagte hatte ihren Hund schon als Welpen mit in den Betrieb gebracht, der sich während der Arbeitszeit der Beklagten auf dem Betriebsgelände aufhielt. Der Arbeitgeber war damit einverstanden und begrüßte dies ausdrücklich. Auf der Homepage des Unternehmers wurde der Hund mit Bild als „Firmenhund‟ vorgestellt. Die Klägerin verlangte von der Beklagten als Tierhalterin Schmerzensgeld und Schadensersatz. Die Beklagte lehnte ab, weil nach ihrer Ansicht ein Haftungsprivileg greife. So trafen sich die Parteien vor der Arbeitsgerichtsbarkeit.

Entscheidung
Sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht bejahten in diesem Fall das Eingreifen des Haftungsprivilegs nach § 105 SGB VII. Zwar sei allein der Umstand, dass Klägerin und Beklagte Arbeitnehmerinnen desselben Arbeitgebers seien, noch nicht ausreichend, das Haftungsprivileg zu bejahen. Vielmehr sei erforderlich, dass das Schadensereignis durch eine Tätigkeit des Schädigers verursacht worden sei, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen gewesen oder die im Betriebsinteresse ausgeführt worden sei. Ausgehend vom Sinn und Zweck der §§ 104 ff. SGB VII sei der Begriff der betrieblichen Tätigkeit weit auszulegen. Zwar wird man die Mitnahme und das Halten eines Hundes während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz in einem Fall, in dem der Hund für die Ausübung der Tätigkeit nicht benötigt wird, grundsätzlich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zurechnen können, selbst wenn damit positive Nebeneffekte beim Arbeitnehmer wie z.B. Leistungssteigerung oder Stressminderung eintreten. Vorliegend ging das Landesarbeitsgericht allerdings davon aus, dass die beklagte Hundehalterin aus ihrer subjektiven Sicht im Betriebsinteresse gehandelt habe, da sie den Hund auf ausdrücklichen Wunsch des Firmengründers seit jeher mit in den Betrieb genommen habe und ihr Hund sogar auf der Homepage des Unternehmerns mit einem eigenen Bild als „Firmenhund‟ vorgestellt worden sei. Dementsprechend habe die beklagte Hundhalterin davon ausgehen können, dass die Mitnahme und der Aufenthalt des Hundes auf dem Betriebsgelände nicht (nur) ihren persönlichen Lebensbereich betrifft, sondern jedenfalls auch im betrieblichen Interesse lag.

Praxishinweis
Hunde können gut fürs Betriebsklima und sogar die Gesundheit der Mitarbeiter sein. Die positiven Effekte der tierischen Kollegen sind wissenschaftlich belegt. Nichtsdestotrotz hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, seinen Hund oder sonstige Haustiere mit zu seinem Arbeitsplatz zu nehmen. Wenn dies aber vom Arbeitgeber gewünscht und gefördert wird, ist es nur konsequent, das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII greifen zu lassen. Dies hat das Landesarbeitsgericht in vorgenannter Entscheidung, die noch nicht rechtskräftig ist, umgesetzt. Handelt es sich um den Hund des Unternehmers selbst, greift § 104 SGB VII unmittelbar, so dass es auf die Betriebsbezogenheit nicht ankommt.

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Das Wirtschaftlichkeitsgebot im Schadensrecht

Michael PeusMichael Peus

BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18

amtliche Leitsätze
a) Der Geschädigte, der von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Gebrauch macht und den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, leistet bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen Genüge, wenn er die Veräußerung zu einem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Festhaltung Senatsurteil vom 27. September 2016 – VI ZR 673/15, NJW 2017, 953).
b) Etwas anderes gilt nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn es sich beim Geschädigten um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst. In diesem Fall ist dem Geschädigten bei subjektbezogener Schadensbetrachtung die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten.

Sachverhalt
Der Pkw der Klägerin, einer Betreiberin eines Autohauses, wurde am 29.02.2016 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Klägerin holte ein außergerichtliches Schadensgutachten ein und ließ den Sachverständigen den Restwert des Fahrzeugs unter Berücksichtigung von Angeboten regionaler Anbieter schätzen. Der Privatsachverständige ermittelte auf dieser Grundlage unter dem 10.03.2016 einen Restwert von 9.500 € brutto.

Der Versicherer des Schädigers legte am 24.03.2016 der Klägerin ein Restwertangebot eines Unternehmens in der Lausitz über 17.030 € brutto vor und rechnete auf dieser Basis ab.

Die Klägerin lehnte das Angebot unter Hinweis auf den sachverständig ermittelten Preis ab. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin den Differenzbetrag zwischen dem von der Beklagten angesetzten Restwert und dem tatsächlich erzielten Verkaufserlös.

Das Landgericht hat der Klage Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Privatsachverständigen aus dem Gutachtenvertrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

  1. Weil auch die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit steht, muss der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg wählen. Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt daher auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeugs bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten. Allerdings gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht absolut, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage.
  2. Deshalb leistet der „einfache‟ Geschädigte dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Allgemeinen schon dann Genüge, wenn er auf Grundlage eines ausreichenden Gutachtens den beschädigten Gegenstand veräußert. Ausreichend ist ein Gutachten dann, wenn es eine korrekte Wertermittlung als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Eine Pflicht, Angebote räumlich entfernter Interessenten einzuholen, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen oder dem Schädiger Gelegenheit zum Nachweis höherer Restwertangebote zu geben, besteht in der Regel nicht.
  3. Etwas anderes gilt aber dann, wenn es sich beim Geschädigten um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst. Solche Geschädigten können nicht lediglich anhand eines Schadensgutachtens abrechnen, das lediglich die Restwertangebote regionaler Anbieter ohne Einbeziehung von Angeboten räumlich entfernter Interessenten, auch über das Internet, berücksichtigt.
  4. Der Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat durch eine unangemessene Verwertung ist nicht erst unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB zu prüfen. Denn die Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht vielmehr von vornherein nur insoweit, als sich die Verwertung im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft hält.

Anmerkung
Nachdem der BGH im Werkvertragsrecht der Schadensberechnung auf Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten eine Absage erteilt hat (zum Artikel), setzt der BGH mit dieser Entscheidung konsequent die Grundsätze des Bereicherungsverbotes und der Wirtschaftlichkeit im Schadensersatzrecht um. Durch einen Schadenfall darf grundsätzlich niemand bereichert werden, vgl. weiterführend Berücksichtigung von Sonderkonditionen.

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Die Deckungssumme ist grundsätzlich das Maximum

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschluss vom 11.07.2019, Az. 6 U 140/18

Leitsatz
Ein gerichtlicher Vergleich mit einem Versicherer beinhaltet im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB die Beschränkung, dass sich der Versicherer nur im Rahmen der bedingungsgemäßen Deckungssumme verpflichtet.

Sachverhalt:
Nach einem Verkehrsunfall im Jahr 1997 nahm die Schwerstgeschädigte zunächst den Kfz-Haftpflichtversicherer  des Unfallgegners sowie diesen persönlich in Anspruch. Dieser Rechtsstreit wurde beendet durch den Abschluss folgenden Vergleichs:

„Die Beklagten zahlen als Gesamtschuldner an die Klägerin über die bereits gezahlten 400.000 DM hinaus einen weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 125.000,- DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Dezember 2001. Darüber hinaus zahlen die Beklagten als Gesamtschuldner an die Klägerin über die bereits anerkannte Rente von monatlich 800,- DM hinaus weitere 200,- DM Rente jeweils zum 01. eines Monats mit Wirkung ab dem 01.08.2001. Im Übrigen sind die Parteien sich einig, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die für ein behindertengerechtes Wohnen erforderlichen und angemessenen Mehrkosten der Klägerin zu zahlen. Mit dieser Regelung sind sämtliche streitgegenständliche Ansprüche der Klägerin erledigt. Im Übrigen erkennen die Beklagten ihre 100-prozentige Haftung dem Grunde nach aus dem Schadensereignis an.‟

Im Jahr 2018 teilte der Haftpflichtversicherer des Schädigers der Geschädigten mit, dass von der Deckungssumme (7.5 MioDM) bereits (gerundet) 3.7 Mio gezahlt worden seien. Die Deckungssumme sei daher in Kürze erreicht (3.7 Mio ~ 7,245 MioDM; bei Deckungssumme von 7.5 MioDM).

Die Klägerin erhob Klage und begehrte die Feststellung, dass die Zahlungsverpflichtungen des Versicherers aufgrund des geschlossenen Vergleiches nicht durch die (mit dem Schädiger im Versicherungsvertrag vereinbarte) Deckungshöchstsumme begrenzt seien.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keine über die Deckungssumme hinausgehenden Ansprüche gegen den Versicherer.

Entscheidungsgründe:
Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurück.

Ein Prozessvergleich ist nach den allgemeinen Regeln auszulegen, §§ 133, 157 BGB, also vom objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte.

Wenn ein Direktanspruch gegen den Versicherer geltend gemacht wird, kann der geschädigte Dritte nur im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis seinen Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen den Versicherer geltend machen. Damit ist der Direktanspruch hinsichtlich seiner Geltendmachung insbesondere durch das versicherte Risiko und die Versicherungssumme nach näherer Maßgabe des jeweiligen Versicherungsvertrags begrenzt.

Der Direktanspruch soll den Versicherer nicht weiter belasten, als er versicherungsvertraglich versprochen habe.

Nachdem der BGH im Urteil vom 25.06.1996, Az. VI ZR 300/95, entschieden hat, dass in einen Urteilstenor die Beschränkung hineinzulesen ist, dass der Versicherer nur maximal zu dem verpflichtet wird, was er gesetzlich bzw. wegen der vereinbarten Deckungssumme schuldet, gilt dies auch bei der Auslegung eines Vergleiches.

Ohne besondere Anhaltspunkte, die auf einen entsprechenden Willen des Versicherers hinweisen, über seine im Verhältnis zum Versicherungsnehmer bestehende Verpflichtung hinaus haften zu wollen, kann ein solcher Wille nicht in den Vergleich hineingelesen werden.

Auch wenn sich der Versicherer im Rahmen des Vergleichs verpflichtet hat, neben seinem (unbegrenzt haftenden) Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner an die Geschädigte zu leisten, und sich im Vergleich keine (ausdrückliche) Beschränkung auf die vereinbarte Deckungshöchstsumme findet, konnte die Klägerin bereits im Hinblick auf die Rechtslage bei Abschluss des Vergleichs von einer über die Deckungshöchstsumme hinausgehenden gleichlaufenden Haftung sowohl der Beklagten als auch des Versicherungsnehmers nicht ausgehen.

Eine solche Erklärung folge insbesondere nicht aus der im Rahmen der Vergleichsvereinbarung abgegebenen Erklärung, der Versicherer erkenne die Haftung aus dem Schadensereignis dem Grund nach zu 100% an. Daraus ergab sich allein, dass der Versicherer kein Mitverschulden der Geschädigten einwenden wollte.

Auch der Umstand, dass sich der Versicherer erstmals im Jahr 2017 auf diesen Höchstbetrag stützte, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn daraus sei nicht erkennbar, dass der Versicherer sich bei dem Vergleichsschluss vor über 15 Jahren darüber hinaus verpflichten wollte.

Gespräche über die Deckungssumme im Rahmen von Vergleichsverhandlungen belegen nach Ansicht des OLG, dass den Parteien die Relevanz dieses Betrages bewusst gewesen sei. Für die Annahme, dass der Versicherer jemals über diesen Betrag hinaus einstehen wollte, bedürfte es in diesem Fall noch sehr viel eindeutigerer Anzeichen.

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Verkehrssicherungspflicht: Loch von 60 cm Durchmesser im Gehweg

Michael PeusMichael Peus

OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2019, Az. 7 U 128/18

amtliche Leitsätze
Es stellt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar, wenn eine in den Boden eingelassene Pflanzeninsel entfernt und das hierdurch entstehende Erdloch mit einem Durchmesser von 60 cm und einem Niveauunterschied von mindestens 10 cm zur Straßendecke nicht abgesichert oder gekennzeichnet wird.

Sachverhalt
Die Klägerin trat in ein Pflanzenloch im Innenbereich einer Wohnanlage, stürzte und verletzte sich. Das Pflanzenloch war von einem Gitter überdeckt mit einem Loch in der Mitte, durch die der (zum Unfallzeitpunkt entfernte) Baum durchgewachsen war. Das Gitter des Pflanzenlochs war bündig mit dem übrigen Verkehrsweg. Das Loch für den Baum wies eine Tiefe von 10 cm und einen Durchmesser von 60 cm auf.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, weil der Bereich einerseits nicht zum Begehen freigegeben sei und hilfsweise die Klägerin ein haftungsvernichtendes Eigenverschulden träfe. Die Klägerin verfolgte mit der Berufung ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin die Entscheidung zu ihren Gunsten geändert. Unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens gab es der Klage dem Grunde nach zu 50% statt.

  1. Denn anders als Baumscheiben in öffentlichen Bereichen mit einem vorhandenen Baum (OLG Hamm, Urteil vom 15.12.1999, Az. 11 U 101/99; OLG München im Beschluss vom 12.04.2012, Az. 1 U 210/12) habe sich die Gitterfläche ohne Baum nicht hinreichend abgesetzt. Der Verkehr habe das Gitter als Teil des Verkehrsweges ansehen können. Wenn es aber als Teil der Verkehrsfläche angesehen werden konnte, seien Warnhinweise erforderlich, damit niemand durch das 60 cm breite und 10 cm tiefe Loch zu Schaden komme.
  2. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin ein Mitverschulden von 50% angelastet. Denn auch wenn sie das Gitter als Teil des Verkehrsweges angesehen habe, habe es sich farblich und strukturell von dem gepflasterten Boden abgehoben. Ein Verkehrsteilnehmer, der eine solche besondere Stelle betritt, müsse besonders sorgfältig sein. Das Loch von immerhin 60 cm Durchmesser hätte bei Einhaltung der erforderlichen Aufmerksamkeit nicht übersehen werden können.
  3. Als Schmerzensgeld sprach das Oberlandesgericht der Klägerin 1.500 EUR zu.
    Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das OLG folgende Umstände berücksichtigt:
    – Handgelenksbruch,
    – operative Versorgung mit Einbringung einer Metallplatte,
    – postoperative Maßnahmen mit 12 Terminen Krankengymnastik,
    – mindestens 2 Monate bestehende Bewegungseinschränkungen,
    – bei alltäglicher Belastung zeitweise auftretende Schmerzen,
    – Haushaltstätigkeiten wie Staubsaugen und Einkaufen waren nur mit Schmerzen zu erledigen,
    – das Handgelenk belastende Tätigkeiten, wie etwa Plätzchen backen, wurden wegen auftretender Schmerzen eingestellt,
    – operativ eingesetzte Platte muss möglicherweise in einer weiteren Operation wieder entfernt werden,
    mindernd: Mitverschulden der Geschädigten.

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Unter Nachbarn: gerechtfertigter Abschuss einer Drohne

Michael PeusMichael Peus
AG Riesa, Urteil vom 24.4.2019 — Aktenzeichen: 9 Cs 926 Js 3044/19
Das Amtsgericht Riesa hat für den Abschuss einer Drohne mit einem Luftgewehr eine Rechtfertigung nach § 228 BGB angenommen, als die Drohne das Privatgrundstück überflog und der Familie des Schützen „nachstellte“.

Leitsatz

Der Abschuss einer Drohne kann nach § 228 BGB gerechtfertigt sein, wenn die Drohne über ein nicht einsehbares Nachbargrundstück fliegt, dort Personen „hinterherstellt“ und auf Anruf nicht weggeflogen wird.

Sachverhalt

Der „Täter“ bewohnt ein Grundstück von 980 qm. Das Grundstück ist von einer Hecke von 2,5-3 m Höhe umgeben.

Über dem Grundstück flog in einer Höhe von 5-15m eine Drohne, die mit einer Kamera ausgestattet war. Der Drohnenpilot, der nicht Eigentümer der Drohne war, war für den „Täter“ nicht auszumachen.

Nachdem die Drohne die Ehefrau des „Täters“ beim Weg zur Mülltonne „verfolgte“ und auch seine Kinder von der Drohne beunruhigt wurden und zur Mutter liefen, rief der „Täter“ zunächst (in Richtung „unbekannt‟), dass die Drohne entfernt werden möge. Als das nicht geschah, holte er sein Luftgewehr und schoss die Drohne im Wert von 1.500 EUR ab. Sie erlitt einen Totalschaden.

Vor dem Amtsgericht Riesa wurde der „Täter“ von der Staatsanwaltschaft angeklagt wegen Sachbeschädigung.

Entscheidung

Der Angeklagte wurde freigesprochen.

Der Angeklagte habe nach § 228 BGB gerechtfertigt gehandelt, als er mit dem Luftgewehr die Drohne abschoss.

1. Es habe eine Notstandslage vorgelegen.
Weil der Drohnenpilot nicht zugleich Eigentümer der Drohne war, habe er sich einer fremden Sache bedient für das Überfliegen, so dass nach hM § 228 BGB anwendbar war und nicht z.B. § 32 StGB, der nur Eingriffe in Rechtsgüter des Angreifers gestattet.

Von § 228 BGB seien alle individuellen Rechte und Rechtsgüter geschützt. Das umfasst auch das Eigentum, das Hausrecht sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Es habe sowohl eine drohende als auch eine bereits eingetretene Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG vorgelegen und zwar auf mehrere Personen bezogen. Diese Verletzung sei erheblich gewesen, weil sie einerseits im Rückzugsraum des Privatgrundstücks und andererseits heimlich „von oben“ erfolgte, womit man gewöhnlich nicht rechnen müsse. Auch in das von Art. 14 GG geschützte Grundstückseigentum sei eingegriffen worden.

Der Drohnenpilot dürfte auch strafrechtlich relevant gehandelt haben (§ 201a Abs. 1 StGB), wobei es aber an dem Strafantrag der Geschädigten nach § 205 StGB fehlte.

Der Drohnenführer verstieß gegen § 21b Abs. 1 Nr. 7 LuftVO und beging damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 44 Abs. 1 Nr. 17b LuftVO.

2. Der Abschuss als Notstandshandlung
Der Abschuss habe den Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht abwehren sollen. Auch wenn grundsätzlich die Flucht als milderes Mittel möglich sein solle, wäre dies vorliegend keine Alternative gewesen, weil dadurch der Eingriff nicht beendet worden wäre, sondern der Flug der Drohne ja angedauert hätte und jedenfalls Artikel 14 GG weiter beeinträchtigt gewesen wäre. Ein „Abgrenzen“ des Grundstücks nach oben sei unzumutbar (und ohnehin zur Abwehr des konkreten Angriffs unmöglich). Das „Herunterholen“ einer Drohne mit einem Gartenschlauch sei nicht gleich wirkungsvoll und würde im Erfolgsfall wohl ebenfalls die Zerstörung der Drohne bedeuten.

Der eingetretene Schaden von 1.500 EUR stehe auch nicht außer Verhältnis zur drohenden Gefahr. Einerseits stelle die Beeinträchtigung eines Grundstücks von 980 qm Größe einen erheblichen Nachteil dar. Andererseits stelle das Verfolgen der Ehefrau des Täters auch „mehr als Lästigkeit“ dar. Andere Güter als die Drohne selbst seien nicht in Gefahr gewesen.

Interessante Auszüge aus der Entscheidung

  • In sachlicher Hinsicht umfasst der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts am eigenen Bild einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, der nicht nur die enge persönliche Lebenssphäre schützt, sondern auch die Befugnis gewährt, sich individuell zurückzuziehen, abzuschirmen oder für sich zu bleiben. Darüber hinaus gewährt es dem Einzelnen das Recht am eigenen Bild, also das Recht, die Darstellung der eigenen Person anderen gegenüber selbst zu bestimmen. Die Bereiche eines Wohngrundstücks, die von öffentlichen Flächen oder angrenzenden Privatgrundstücken aus nicht einsehbar sind, sind typischerweise Rückzugsorte des jeweiligen Nutzers, weshalb Beobachtungen anderer Personen als „Ausspähung” das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen. Bereits mit dem Anfertigen wird dabei in das Selbstdarstellungsrecht des Betroffenen eingegriffen, das Bildnis von der Person des Abgebildeten losgelöst und damit in dieser konkreten Form dessen Kontrolle und Verfügungsgewalt entzogen. Erschwerend kommt unter Umständen hinzu, dass im Fall einer zivilen Drohnenaufnahme die aufgenommene Person dieses nicht mitbekommt, da sie nicht mit einer Aufnahme „von oben” rechnet. Eine solche Heimlichkeit der Aufnahme führt dabei zu einer gesteigerten Erheblichkeit der allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzung
  • Nach § 905 S. 1 BGB erstreckt sich das Recht des Eigentümers eines Grundstücks auf den Raum über der Oberfläche und auf den Erdkörper unter der Oberfläche. Nach § 905 S. 2 BGB kann der Eigentümer hierbei Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass der Eigentümer an ihrer Ausschließung kein Interesse hat.
  • Grundsätzlich statuiert § 1 LuftVG als weitere spezialgesetzliche Einschränkung des Eigentumsrechts § 903 BGB und dessen Ausgestaltung in § 905 S. 1 BGB (JurisPK, 8. Auflage 2017, § 905 BGB Rn. 5 f.) und Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, dass die Benutzung des Luftraumes durch Luftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 LuftVG frei ist.
  • Einschränkend ist jedoch zu berücksichtigen, dass gemäß § 1 Abs. 1 LuftVG die Benutzung des Luftraumes durch Luftfahrzeuge nur frei ist, soweit sie nicht durch die zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften, durch im Inland anwendbares internationales Recht, durch Rechtsakte der Europäischen Union und die zu deren Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften beschränkt wird. Hierunter fallen auch die Bestimmungen der LuftVO.
  • Nach § 21b Abs. 1 Nr. 7 LuftVO ist der Betrieb von unbemannten Luftfahrtsystemen und Flugmodellen — sofern er nicht durch eine in § 21a Abs. 2 LuftVO genannte Stelle oder unter deren Aufsicht erfolgt — verboten über Wohngrundstücken, wenn die Startmasse des Geräts mehr als 0,25 kg beträgt oder das Gerät oder seine Ausrüstung in der Lage sind, optische, akustische oder Funksignale zu empfangen, zu übertragen oder aufzuzeichnen, es sei denn, der durch den Betrieb über dem jeweiligen Wohngrundstück in seinen Rechten betroffene Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte hat dem Überflug ausdrücklich zugestimmt.
  • Als Notstandshandlung des § 228 BGB ist das Beschädigen oder Zerstören der Sache, von der die Gefahr ausgeht, zulässig (JurisPK, 8. Auflage 2017, § 228 BGB Rn. 9). Dies muss mit Abwehrwillen erfolgen und zur Abwehr der Gefahr erforderlich sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Gefahr auch auf mildere Weise abgewendet werden kann, wozu im Falle des § 228 BGB auch die Flucht zählt (JurisPK, 8. Auflage 2017, § 228 BGB Rn. 11). Weiter darf die drohende Gefahr und der Abwehrschaden nicht außer Verhältnis stehen. Dabei gehen bei Sachen wertvollere grundsätzlich weniger wertvolleren vor (JurisPK, 8. Auflage 2017, § 228 BGB Rn. 12).
  • Unter den Luftverkehr im Sinne des § 315 StGB fällt der Verkehr mit Luftfahrzeugen im Sinne des § 1 Abs. 2 LuftVG (BeckOK, 41. Ed. Stand 01.02.2019, § 315 StGB Rn. 5; Leipold/Tsambikakis/Zöller, 2. Auflage 2015, § 315 StGB Rn. 5). § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 LuftVG fasst hierunter auch Flugmodelle. Kennzeichnend für diese ist, dass sie unbemannt sind. Es kann sich um alle Arten der in § 1 Abs. 2 LuftVG angesprochenen Fluggeräte handeln, auf Größe und Antriebsart kommt es nicht an. Von den in § 1 Abs. 2 S. 2 LuftVG legaldefinierten unbemannten Luftfahrzeugen unterscheiden sich Flugmodelle durch ihren Verwendungszweck. Flugmodelle dienen ausschließlich der Freizeitgestaltung (Erbs/Kohlhaas, 223. EL Januar 2019, § 1 LuftVG Rn. 6; MMR 2014, 431; Bt-Drs. 17/8098, S. 12). Von dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 Nr. 9 LuftVG erfasst ist auch der Einsatz von Drohnen im privaten Bereich (NZV 2016, 353). Allerdings ist es geboten, solche Luftfahrzeuge des § 1 Abs. 2 LuftVG von dem Anwendungsbereich des § 315 StGB auszunehmen, bei welchen — wie vorliegend — der Beförderungsvorgang (“Verkehr“) völlig in den Hintergrund tritt beziehungsweise nicht vorhanden ist (Leipold/Tsambikakis/Zöller, 2. Auflage 2015, § 315 StGB Rn. 5).
  • Ein Verstoß gegen das Waffengesetz liegt nicht vor, wenn die Abgabe des Schusses gemäß § 12 Abs. 4 Nr. 1 lit. a) WaffG erlaubnisfrei ist. Dies gilt auch hinsichtlich des gleichzeitig gegebenen Besitzes der entsprechenden Druckluftwaffe. Gemäß Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 1 ist der Erwerb und Besitz bestimmter Waffen wie zum Beispiel Druckluft- und Federdruckwaffen, bei denen den Geschossen eine Bewegungsenergie von nicht mehr als 7,5 Joule mit dem F im Fünfeck (Nr. 1.1) erlaubnisfrei (Erbs/Kohlhaas, 223. EL 2019, § 52 WaffG Rn. 62).

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Der BGH zu Schockschäden

Michael PeusMichael Peus

Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.5.2019 — Aktenzeichen: VI ZR 299/17

Der Bundesgerichtshof bestätigt anlässlich eines Behandlungsfehlers die Rechtsprechung zu Schockschäden und stellt klar, dass erstattungspflichtige Schockschäden kein Unfallereignis voraussetzen, sondern auch — beispielsweise — bei fehlerhafter ärztlicher Behandlung möglich seien.

Leitsatz
Die zum „Schockschaden“ entwickelten Grundsätze (vgl. …) sind auch in dem Fall anzuwenden, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, besteht grundsätzlich nicht. (amtlicher Leitsatz, gekürzt)

Sachverhalt
Ein Patient wird fehlerhaft im Krankenhaus behandelt und erfuhr einen lebensbedrohlichen Zustand. Er einigte sich mit dem Versicherer des Krankenhauses. Seine Ehefrau verfolgt Schadensersatz nach der Rechtsprechung zu Schockschäden, weil sie wegen der lebensbedrohlichen Situation ihres Mannes in Depressionen verfallen sei.

Die Ehefrau blieb in den Instanzen erfolglos. Das Landgericht wies die Klage zurück, weil ihr Ehemann nicht unmittelbar verstorben sei. Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück, weil sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko der Erkrankung verwirklicht habe.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Denn ein Schockschaden setze kein Unfallereignis voraus. Auch im Rahmen der Arzthaftung könne einem Angehörigen Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens zustehen. Das Berufungsgericht muss nun — mit dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO — prüfen, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf der behandlungsfehlerbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustands ihres Ehemannes zurückgingen.

Wesentliches aus der Entscheidung:

  • die zum „Schockschaden“ entwickelten Grundsätze sind auch anwendbar, wenn das schadensbegründende Ereignis kein Unfallgeschehen, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist
  • außerhalb der Schockschäden genügt für die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung grundsätzlich die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsbeschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre; einer organischen Ursache der psychischen Beeinträchtungen bedarf es grundsätzlich nicht
  • im Rahmen der Schockschäden ist eine Korrektur notwendig, weil das gewöhnliche Maß von Trauer, Mitleid und seelischem Schmerz nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erstattungspflichtig ist; eine Erstattungsfähigkeit kommt erst dann in Betracht, wenn Intensität, Art bzw. Dauer der psychischen Leiden das durchschnittliche Maß überschreiten
  • gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bedarf der Zurechnungszusammenhang einer gesonderten Prüfung
  • Schutzzweck der Norm:die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen; hieran fehlt es in der Regel, wenn der Sachverhalt dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen ist
  • wenn der Geschädigte das schadensauslösende Ereignis in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen, fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang; entsprechendes kann gelten, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle), nicht gerade speziell eine Schadensanlage des Verletzten trifft und die psychische Reaktion deshalb im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist
  • bei Schockschäden fehlt es ferner an dem notwendigen Zurechnungszusammenhang, wenn der Dritte dem unmittelbar Geschädigten nicht nahe stand; auch dann verwirklicht sich nur das allgemeine Lebensrisiko
  • es gilt für den Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen Gesundheitsverschlechterung und den gesundheitlichen Folgen des Dritten der Strengbeweis, § 286 ZPO

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Private als Verwaltungshelfer, § 839 BGB

Michael PeusMichael Peus

Bundesgerichtshof, Urteil vom 6.6.2019 — Aktenzeichen: III ZR 124/18

Der BGH bestätigt, dass auch Privatpersonen Beamte im staatshaftungsrechtlichen Sinne sind, wenn sie in Ausübung einer ihnen anvertrauten öffentlichen Tätigkeit gehandelt haben. Erfolgt die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Herbeiführung deren Wirksamkeit, sind die Mitarbeiter des Unternehmens als Verwaltungshelfer anzusehen.

Leitsatz
Die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die zur Ausführung einer verkehrsbeschränkenden Anordnung der Straßenbaubehörde und des der Anordnung beigefügten Verkehrszeichenplans (§ 45 Abs. 2 und 6 StVO) Verkehrsschilder nicht ordnungsgemäß befestigen, handeln als Verwaltungshelfer und damit als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne. Ihre persönliche Haftung gegenüber einem durch das Verkehrsschild Geschädigten scheidet daher gemäß Art. 34 Satz 1 GG aus (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 — III ZR 68/14, NJW 2014, 3580).

Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin eines Kraftfahrzeugs. Sie hat vorgetragen, ihr sei am 07.10.2014 im Baustellenbereich ein eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnendes Verkehrsschild (Zeichen 274) entgegengeflogen, das auf dem rechten Standstreifen aufgekommen und gegen die Beifahrerseite ihres Fahrzeuges geschlagen sei. Das Schild habe sich gelöst, weil es von der Beklagten nicht ordnungsgemäß befestigt worden sei. (Sachverhaltszusammenfassung des BGH)

Entscheidung
Ein Beamter im staatshaftungsrechtlichen Sinn haftet grundsätzlich nicht persönlich, § 839 BGB.

Die Verkehrsregelung ist eine hoheitliche Aufgabe, § 45 StVO. Verkehrsbeschränkende Regelungen gehören zur Eingriffsverwaltung.

Auch die tatsächliche Umsetzung der Vorgabe, also das Aufstellen und Anbringen der Schilder, stellt eine hoheitliche Aufgabe dar. Selbst wenn es sich (entgegen BGH im Urteil vom 29.11.1973, Az. III ZR 211/71) um eine Maßnahme der Verkehrssicherung handeln würde, wäre sie untrennbar mit der Verkehrsregelung verbunden und deshalb hoheitlich. Denn Verkehrsregelungen und Handlungen, die überhaupt erst zur Wirksamkeit der Regelungen führen, seien in gleichem Maße bedeutsame hoheitliche Tätigkeiten und haftungsrechtlich einheitlich zu betrachten.

Wenn die Zielsetzung hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss, handelt eine Person in Ausübung des ihr anvertrauten Amtes. Dabei sei auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen; auf die Person selbst komme es nicht an.

Neben Beliehenen gibt es die — vorliegend relevanten – Verwaltungshelfer. Als haftungsrechtlich privilegierter Verwaltungshelfer ist jemand dann anzusehen, wenn die Betätigung des Privaten mit der hoheitlichen Aufgabe sehr eng verbunden ist und die öffentliche Hand auf die Durchführung der Arbeiten so viel Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug“ oder „Erfüllungsgehilfe“ des Hoheitsträgers handelt.

Weil die öffentliche Hand — vorliegend — auf die Durchführung der Arbeiten der Eingriffsverwaltung durch die Privaten derart Einfluss genommen hat, dass die Mitarbeiter der Beklagten gleichsam als bloße „Werkzeuge“ oder „verlängerte Arme“ handelten, weil ihre verkehrsbeschränkende Anordnung strikt umzusetzen war, handelten diese Arbeiter als Verwaltungshelfer. Denn der Verkehrszeichenplan gab präzise vor, welches Verkehrsschild an welcher Stelle aufzustellen war. Ein eigener Entscheidungs- und Ermessensspielraum kam ihnen bei der Umsetzung nicht zu.

Allgemeines aus der Entscheidung:

  • Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung kann sich die öffentliche Hand der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass sie die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt.
  • Ob die Rechtsfigur des Verwaltungshelfers im gesamten Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge Anwendung findet, lässt der BGH hier offen. Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation wäre dies zu bejahen (, würde man den Sachverhalt wegen des Straßenbaus unter die Daseinsvorsorge subsumieren), weil eine sehr enge Verbindung zur Eingriffsverwaltung vorliegt.
  • Für Geschwindigkeitsbegrenzungen sind grundsätzlich die Straßenverkehrsbehörden zuständig, § 45 Abs. 3 StVO. Wenn sie zur Durchführung von Straßenbauarbeiten getroffen werden, sind die Straßenbaubehörden zuständig, § 45 Abs. 2 S.1+4 StVO.

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