Zur Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG für Zahlungen, mit denen Arbeitsleistungen oder Vorleistungen abgegolten werden

OLG München, Urteil vom 22.6.2017 — Aktenzeichen: 23 U 3769/16

Leitsatz
1. Die Haftung des Organs für masseverkürzende Leistungen nach § 64 Satz 1 GmbHG kann nur dann entfallen, wenn der Gesellschaft ein dem Gläubigerzugriff unterliegender Vermögenswert zufließt.

2. Insbesondere Zahlungen, mit denen Arbeitsleistungen abgegolten werden, sind masseschmälernde Zahlungen im Sinne des § 64 Satz 1 GmbHG (entgegen OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.10.2015, 6 U 169/14).

Sachverhalt
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter Ansprüche nach § 64 Satz 1 GmbHG gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Schuldnerin geltend. Insbesondere geht es um Zahlungen, die der Beklagte nach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Schuldnerin für diverse Lieferanten, Arbeitnehmer und öffentliche Träger geleistet hat. Der beklagte Geschäftsführer verteidigt sich damit, wegen seiner Stellung als angestellter Geschäftsführer sei § 64 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden. Darüber hinaus würde seine Ersatzpflicht entfallen, da die durch die Zahlungen verursachte Schmälerung der Masse unmittelbar ausgeglichen worden sei.

Entscheidung
Das OLG München hat den ehemaligen Geschäftsführer im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Das OLG München ist zunächst der Auffassung, dass § 64 Satz 1 GmbHG anwendbar ist. Die von dem beklagten Geschäftsführer vertretene Auffassung, es seien die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zur Anwendung zu bringen, hält das OLG für unzutreffend, da es sich bei § 64 Satz 1 GmbHG nicht um eine Schadensersatznorm, sondern um einen Ersatzanspruch eigener Art handelt. Dem Zweck, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen, widerspräche die Anwendung der Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung.

Den geleisteten Zahlungen stehen nach Auffassung des Oberlandesgerichts keine werthaltigen Gegenleistungen gegenüber, die eine Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG entfallen lassen könnten. Zweck der Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 1 GmbHG ist es, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Die Befriedigungsaussichten der Gläubiger werden aber nur dann nicht beeinträchtigt, wenn anstelle der Zahlungen ein gleichwertiger Gegenstand in das Schuldnervermögen gelangt, der genauso wie die Zahlung zum pfändbaren Haftungsbestand des Schuldners gehört. Entsprechend kann die Tätigkeit eines Arbeitnehmers keine werthaltige Gegenleistung darstellen, die bezüglich gezahlter Bruttolöhne eine Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG entfallen lassen könnte. Der Beklagte kann mit der weiteren Argumentation, er habe durch die Aufrechterhaltung des Betriebes Liquiditätszuwächse erzielt, eine Haftung nicht abwenden; denn nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung ist im Rahmen des § 64 Satz 1 GmbHG zu berücksichtigen. Eine allgemeine Saldierung ist nicht möglich. Entsprechend wurde der Beklagte antragsgemäß verurteilt.

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