Versicherer können sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung auch noch erstmalig im weiteren Verlauf eines Prozesses berufen.

BGH – Beschluss vom 12.12.2007 — Aktenzeichen: IV ZR 122/06

Leitsatz
Versicherer können sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung auch noch erstmalig im weiteren Verlauf eines Prozesses berufen.
Sachverhalt
Wenn Versicherer ihre Eintrittspflicht im Versicherungsfall ablehnen, berufen sie sich gegenüber dem Versicherungsnehmer üblicherweise u. a. auf Ausschlussklauseln oder Obliegenheitsverletzungen. Kommt es dann zu einem Prozess, führt die Aufklärung des Sachverhalts nicht selten zu der Erhebung weiterer Einwände, besonders wenn die zunächst geltend gemachten Gründe sich im Laufe des Prozesses, etwa aufgrund einer Beweisaufnahme, nicht als erfolgversprechend erwiesen haben.

In diesem Fall werden Ausschlussklauseln anders behandelt als Obliegenheitsverletzungen. Ausschlussklauseln werden vom Gericht von Amts wegen geprüft, wenn die entsprechenden Tatsachen rechtzeitig (im Rahmen des § 296 ZPO) vorgetragen sind. Bei Obliegenheitsverletzungen muss sich der Versicherer aber ausdrücklich darauf berufen, um leistungsfrei zu werden.

Berief sich der Versicherer bisher nicht vorprozessual, sondern erst im Laufe des Prozesses auf eine Obliegenheitsverletzung, so erkannten Teile der Rechtsprechung diese Verteidigung nicht mehr an. Wie z. B. das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 04.08.1992 – 4 U 30/92 — (veröffentlicht in VersR 1993, 425) ausgeführt hat, verliert der Versicherer sein Leistungsverweigerungsrecht wegen Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers wegen „Verspätung“ nach Treu und Glauben, wenn er es erstmalig im weiteren Verlauf des Prozesses geltend macht. Dieser Einwand führt dann also nicht mehr zur Leistungsfreiheit, wenn der Versicherer sich nicht sogleich in der vorprozessualen Korrespondenz oder zumindest alsbald in der I. Instanz hierauf beruft.

Dieser Rechtsauffassung hat der BGH in einem aktuellen Beschluss vom 12.12.2007 — IV ZR 122/06 — ausdrücklich widersprochen.

Entscheidung
In diesem Beschluss stellt der BGH klar, dass eine dispositive Rechtsposition – wie z.B. die Möglichkeit des Versicherers, sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung zu berufen – nicht durch verzögerte Geltendmachung im Prozess verloren geht.

Das führte in dem zugrunde liegenden Verfahren dazu, dass sich die Versicherungsnehmerin nicht auf Verspätung nach § 242 BGB berufen konnte, obwohl der Versicherer sich erstmals am Ende des ersten Rechtszuges auf eine Obliegenheitsverletzung berufen hatte, deren Verletzung die Versicherungsnehmerin aufgrund der verzögerten Geltendmachung durch den Versicherer für unbedeutend hielt. Wer sein Recht zeitlich verzögert geltend macht, verzichtet damit nicht auf seine Rechtsposition – sagt der BGH und widerspricht damit ausdrücklich der z. B. vom OLG Düsseldorf in dem zitierten Urteil vertretenen Rechtsauffassung.

Diese Entscheidung des BGH hat für Versicherer eine nicht zu unterschätzende Bedeutung:

Sie können sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung auch noch im Laufe des Prozesses erstmalig berufen, wenn sich bis dahin herausgestellt hat, dass andere Gründe die Ablehnung der Leistung nicht tragen. Die zugrundeliegenden Tatsachen müssen hierbei allerdings in den Grenzen des § 296 ZPO rechtzeitig vorgetragen werden.

image_pdf