Verkehrssicherungspflicht eines Waldbesitzers

BGH, Urteil vom 2.10.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 311/11

Leitsatz
Eine Haftung des Waldbesitzers wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht besteht grundsätzlich nicht für waldtypische Gefahren.

Sachverhalt
Die Klägerin ging in dem planmäßig bewirtschafteten Wald der Beklagten zu 1) spazieren. In einer Abteilung des Waldgebiets stand ein 106-jähriger Eichenwald. Von einer Eiche, die etwas abseits des von der Klägerin begangenen Weges stand, löste sich ein so genannter Starkast, der die Klägerin am Hinterkopf traf. Der Ast war etwa 17 m lang. Sein Durchmesser betrug an der Basis 26 cm und im Ausgangsbereich etwa 23 cm. Die Klägerin erlitt eine schwere Hirnschädigung und nahm die Beklagte zu 1) sowie den bei dieser für den Bereich des Waldgrundstücks zuständigen Diplom-Forstwirt auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage durch Grund- und Teilurteil stattgegeben. Mit den Revisionen begehrten die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung
Der BGH hat der Revision stattgegeben und eine Haftung des Waldbesitzers — Beklagte zu 1) — verneint, da sich lediglich eine waldtypische Gefahr verwirklicht habe, für welche die Beklagte zu 1) nicht verantwortlich zu machen sei.

Zu den typischen Gefahren des Waldes, gegen die der Waldbesitzer Waldwege grundsätzlich nicht sichern müsse, zählten solche, die sich aus der Natur oder der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes unter Beachtung der jeweiligen Zweckbestimmung ergeben. Hierzu gehörten insbesondere herabhängende Äste oder die mangelnde Stand- oder Bruchfestigkeit von Bäumen. Atypische und damit sicherungspflichtige Gefahren seien hingegen alle nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung mehr oder weniger zwangsläufig vorgegebenen Zustände, insbesondere vom Waldbesitzer geschaffene oder geduldete Gefahren, die ein Waldbesucher nicht oder nicht rechtzeitig erkennen könne und auf die er sich nicht einzurichten vermag, weil er nicht mit ihnen rechnen müsse. Dazu könnten etwa (nicht waldtypische) Hindernisse, die einen Weg versperren, oder nicht gesicherte Holzstapel gehören.

Im vorliegenden Fall habe sich demnach mit dem Astabbruch eine Gefahr verwirklicht, die in der Natur des Baumes begründet gewesen sei. Sachverständig wurde festgestellt, dass Auslöser des Astabbruchs der generelle Sommerbruch, d.h., ein durch Trockenheit und hohe Temperaturen begünstigter Versagensmechanismus, gewesen sei. Weiterer Auslöser war eine Faulstelle an der Oberseite des Astes. Die Gefahr, dass sich durch Verletzungen eines Baumes über mehrere Jahrzehnte Faulstellen bilden, die einen Ast schwächen, sei nach Ansicht des BGH ausschließlich in der Natur des Baumes begründet. Gleiches gelte für die Ausbildung eines langen Astwuchses und den Abbruch der Hauptkrone des Baumes. Eine der Beklagten zu 1) zuzurechnende atypische Gefahr habe demnach nicht vorgelegen. Vielmehr sei der Tatbestand des Handelns auf eigene Gefahr erfüllt, da sich die Klägerin in eine Situation drohender Eigengefährdung begeben habe, obwohl sie die besonderen Umstände kennen musste, die für sie eine konkrete Gefahrenlage begründeten. Ein Waldbesucher setze sich mit dem Betreten des Waldes bewusst den waldtypischen Gefahren aus.

Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten zu 2) scheide folgerichtig ebenfalls aus, da ihn keine weitergehenden Pflichten als die Beklagte zu 1) treffen könnten.

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