Umfang der Bindungswirkung nach § 108 SGB VII

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Hamm, Urteil vom 22.02.2022, Az.: I-26 U 67/21

Leitsätze

1. § 118 SGB X erfasst nur Entscheidungen dazu, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Gemeint ist nicht die Feststellung der Leistungspflicht, sondern die Gewährung bzw. Ablehnung der Leistung durch Verwaltungsakt. Nicht erfasst wird die Entscheidung über eine einzelne Voraussetzung der Leistungspflicht. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Frage, ob zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Hierfür gilt die Bindungswirkung des § 118 SGB X nicht.

2. Zusammengefasst ist eine Bindungswirkung anzunehmen hinsichtlich der Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem (= Leistungsempfänger), nicht aber hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger, der auf den Leistungsträger übergegangen ist.

Entscheidung

Das OLG Hamm arbeitet heraus, dass § 118 SGB X nur Entscheidungen dazu erfasst, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Gemeint ist nicht die Feststellung der Leistungspflicht, sondern die Gewährung bzw. Ablehnung der Leistung durch Verwaltungsakt. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Frage, ob zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Hierfür gilt die Bindungswirkung des § 118 SGB X nicht. Dies hat der BGH im Urteil vom 16.03.2021 (VI ZR 773/20) noch einmal bestätigt, wenn er ausführt, dass sich die Bindungswirkung des § 118 SGB X inhaltlich nur auf die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Leistung, nicht aber auf die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen der Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden erstreckt.

Der Senat führt weiter aus: Bereits nach dem Wortlaut des § 118 SGB X erstreckt sich die Bindungswirkung nur auf das „Ob‟ und den Umfang der Leistungspflicht des den Regressanspruch gegen den Schädiger verfolgenden Leistungsträgers. Sie umfasst danach grundsätzlich lediglich die Zuständigkeit für die Leistung, die Versicherteneigenschaft des Geschädigten sowie die Leistungshöhe ). Diese Auslegung entspricht allein dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn dadurch soll aus prozessökonomischen Gründen verhindert werden, dass Zivilgerichte sozialversicherungsrechtliche Vorfragen prüfen. Diese sozialrechtlichen Vorfragen umfassen nicht die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen. Denn die (sozialrechtlichen) Entscheidungsträger entscheiden allein auf der Grundlage der sozialrechtlichen Kausalitätstheorien, die aber nicht identisch sind mit den zivilrechtlichen. Die sozialrechtlichen Kausalitätsanforderungen gelten daher nicht zugleich auch für die zivilrechtliche Auseinandersetzung des Haftpflichtschadens. Nicht gebunden ist das Gericht ferner an die Tatsachenermittlung, an die (nicht tragende) Begründung der vorausgehenden Entscheidung oder an Art und Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Zusammengefasst ist eine Bindungswirkung anzunehmen hinsichtlich der Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem (= Leistungsempfänger), nicht aber hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger, der auf den Leistungsträger übergegangen ist.

Relevanz

Der letzte Satz ist durchaus wichtig. Denn er zeigt, dass die Bindungswirkung auf das Verhältnis zwischen Leistungsempfänger(Geschädigter) und SVT beschränkt ist. Die Bindungswirkung erstreckt sich lediglich auf Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem, nicht aber auf den gem. §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger. Auch bei der Leistungshöhe, die grds. von der Bindung erfasst ist (s. oben), ist nur die Beziehung SVT/Geschädigter gemeint, also welche sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche des Geschädigten gegenüber dem SVT bestehen. Dass diese automatisch deckungsgleich (kongruent) mit dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger sind, erwächst nicht in Bindung. So ist etwa der zivilrechtliche Einwand der mangelnden Erforderlichkeit gem. § 249 BGB nicht verwehrt.

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