OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.11.2014 — Aktenzeichen: 2 U 172/13
Jeden Tag werden tausende von Kostenvoranschlägen erstellt. Wenn es am Ende teurer wird, stellt sich die Frage, ob der Werkunternehmer über den Kostenvoranschlag hinaus abrechnen kann. Ja, sagt das OLG Saarbrücken in diesem Fall.
Leitsatz
Übersteigen die für die Herstellung des Werks tatsächlich entstehenden Kosten den Kostenanschlag, schuldet der Besteller dem Unternehmer eine Vergütung, die den erbrachten Leistungen entspricht.
Sachverhalt
Der Kläger, ein Landschaftbauunternehmer, beansprucht restlichen Werklohn für Erdarbeiten am Hausgrundstück des Beklagten. Der Kläger erstellte im August/September 2011 auf Wunsch des Beklagten eine handschriftliche Kostenaufstellung für die Abfuhr von einem Steilhang hinter dem Hausanwesen des Beklagten abgerutschter Erdmassen und den Bau einer Mauer in unterschiedlichen Ausführungsvarianten. Nachdem im November 2011 der Hang weiter abgerutscht war, führte der Kläger auf Anfordern des Beklagten Notmaßnahmen — und zwar die Beseitigung heruntergebrochenen Erdreichs sowie Schaffung einer Dränage — durch. Anfang April 2012 setzte der Kläger die Arbeiten fort und errichtete eine Stützmauer aus L-Steinen. Im Juni 2012 stellte er dem Beklagten einen Betrag in Höhe von 28.004,61 EUR in Rechnung, deutlich mehr, als in der anfänglichen Kostenaufstellung enthalten. Der überraschte Beklagte zahlte dem Kläger nur 15.000,00 EUR. Die Differenz klagte der Kläger ein.
Das Landgericht gab dem Kläger Recht. Damit war der Beklagte nicht einverstanden. Er verteidigte sich mit allerlei Argumenten, etwa dass die Vereinbarung der Parteien im Zusammenhang mit der Kostenaufstellung als Festpreisvereinbarung einzustufen sei. Mehrkosten wurden überdies bestritten. Aber auch bei Vorliegen eines Kostenvoranschlages hätte der Kläger seine Anzeigepflicht verletzt, da er trotz ausdrücklicher Nachfrage des Beklagten keine Angaben über Mehrkosten gemacht habe.
Damit hatte der Beklagte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das OLG führte aus:
Gemäß § 631 BGB Abs. 1 BGB wird der Unternehmer (Kläger) durch den Werkvertrag zur Herstellung des versprochenen Werks, der Besteller (Beklagter) zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, fingiert § 632 Abs. 1 BGB zur Vermeidung von Dissensfolgen eine Vergütung (immer) als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werks den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist, ohne dass es auf einen entsprechenden Willen des Bestellers ankommt. Ist zwar eine Vergütung vereinbart, deren Höhe aber nicht bestimmt, besagt § 632 Abs. 2 BGB, dass bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist.
Das Argument, dass kein Kostenvoranschlag, sondern eine Festpreisvereinbarung vorgelegen habe, überzeugte das OLG nicht. Die Abgrenzung zwischen Kostenvoranschlag und Vergütungsvereinbarung sei entlang folgender Kriterien vorzunehmen: Ein Kostenanschlag i.S. von § 650 BGB sei eine unverbindliche Berechnung der voraussichtlich anfallenden Kosten auf der Grundlage einer fachmännischen gutachtlichen Äußerung des Unternehmers zur Kostenfrage, die dem Vertrag zugrunde gelegt worden ist, ohne Vertragsbestandteil geworden zu sein. Rechtlich handele es sich — so das OLG — um eine Geschäftsgrundlage des Werkvertrages; § 650 BGB enthalte für den Fall, dass der Kostenanschlag unrichtig ist, eine Sonderregelung der Folgen des Wegfalls dieser Geschäftsgrundlage. Voraussetzung des § 650 BGB sei, dass der Unternehmer keine Gewähr für die Richtigkeit des Kostenanschlags übernommen hat. Durch eine solche Richtigkeitsgarantie werde der garantierte Preis nämlich Vertragsinhalt und § 650 BGB sei in der Folge nicht anwendbar. So liege es im Bereich des Fest- oder Pauschalpreises, bei dem sich die Parteien bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf einen endgültigen Preis verständigt haben und der Unternehmer deshalb für einen bestimmten Preis einzustehen habe. Bei einem Kostenanschlag nach § 650 BGB sei der Unternehmer dagegen nicht an den veranschlagten Kostenbetrag gebunden; überstiegen die für die Herstellung des Werkes tatsächlich entstehenden Kosten den Kostenanschlag, so schulde der Besteller dem Unternehmer prinzipiell eine Vergütung, die den tatsächlich erbrachten Leistungen entspricht.
Vor diesem Hintergrund konnte das OLG keine Festpreisvereinbarung feststellen. Zwar müsse der Unternehmer beweisen, dass die behauptete Vereinbarung über die Höhe der Vergütung nicht getroffen worden ist, wenn der Besteller eine Vergütungsvereinbarung in bestimmter Höhe behauptet; aber als notwendiges Korrektiv für die dem Unternehmer obliegende Negativbeweisführung müsse nach gefestigter Rechtsprechung allerdings der Besteller, der eine bestimmte Vergütungsabrede behauptet, diese Vereinbarung nach Ort, Zeit und Vergütungshöhe substantiiert darlegen; Sache des Unternehmers sei es dann, die geltend gemachten Umstände zu widerlegen, die für die behauptete Vereinbarung sprechen, wobei an diese Beweisführung keine zu strengen Anforderungen zu stellen seien. Dies konnte der Beklagte nicht darlegen. In Ermangelung einer Pauschalpreisabrede oder sonstigen Vergütungsvereinbarung könne der Kläger mithin die übliche Vergütung (§ 632 Abs. 2 BGB) seiner Werkleistung verlangen, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich etwaiger Mehrkosten durch Zusatzarbeiten bedurfte und weiterhin bedarf.
Gegenansprüche verneinte das OLG. Habe ein Unternehmer schuldhaft einen unrichtigen Kostenanschlag aufgestellt, so könne nach allgemeinen Grundsätzen der Besteller von ihm je nach Lage des Einzelfalls entweder Schadensersatz wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten aufgrund schuldhaft fehlerhafter Kostenermittlung (§ 311 Abs. 2 BGB) oder wegen Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 280 BGB) bei vermeidbarer Verursachung von Mehrkosten bzw. schuldhafter Verletzung der Anzeigepflicht verlangen. Eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung des Klägers sah das Gericht indes nicht. Die rechtliche Bewertung der handschriftlichen Kostenaufstellung als Kostenanschlag hätte einen Schadensersatzanspruch allenfalls dann zur Folge, wenn der Kläger etwa schuldhaft seine Pflicht aus § 650 Abs. 2 BGB verletzt hätte, wonach der Unternehmer dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen hat, wenn eine wesentliche Überschreitung des Kostenanschlags zu erwarten ist. Wenn aber — wie hier — eine Verteuerung offensichtlich ist, gelte dies nicht. Im Übrigen wäre auch fraglich, was an Schadensersatz zu leisten wäre. Selbst wenn der Kläger eine Anzeigepflicht nach § 650 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt hätte, würde dem Beklagten ein die Klageforderung begrenzender Schadensersatzanspruch nur zustehen, wenn ihm aus dieser Pflichtverletzung nachweislich ein Schaden entstanden wäre. Hat ein Unternehmer schuldhaft seine Anzeigepflicht verletzt, dann besteht seine Schadensersatzpflicht darin (sog. negatives Interesse), dass er den Besteller so stellen muss, wie dieser stehen würde, wenn ihm die zu erwartende Kostenüberschreitung rechtzeitig angezeigt worden wäre. Dies bestimmt sich zuvörderst nach der hypothetischen Frage, ob der Besteller bei rechtzeitiger Anzeige der Kostenüberschreitung den Werkvertrag gekündigt hätte. Hätte der Besteller den Vertrag nicht gekündigt, insbesondere weil er auf den Werkerfolg angewiesen ist und ihn auch anderweitig nicht preisgünstiger hätte erreichen können, so fehlt es an einem Schaden. Hier lag es nach Auffassung des OLG auf der Hand, dass der Beklagte in Anbetracht des instabil gewordenen Hanges auf die Durchführung der Sanierungsarbeiten essenziell angewiesen war. Eine vergleichbare Werkleistung wäre auch von einem anderen Unternehmen nicht preisgünstiger gewesen.
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